Prof. Dr. Reinhard Herzog
Es ist gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten. Was sollen Sie nicht alles tun? Orientieren Sie sich noch mehr an den Kundenbedürfnissen! Lesen Sie die Wünsche von den Lippen oder aus dem Gesichtsausdruck ab! Spezialisieren Sie sich! Werden Sie in den sozialen Medien aktiv! Optimieren Sie Ihre Sichtwahl! Nehmen Sie die stark wachsende Zielgruppe der über Hundertjährigen ins Visier!
Sie sehen, man kann das ins Groteske übersteigern (selbst wenn sogar die letzte Aussage in sich wahr ist, nur unter dem Strich ziemlich unbedeutend!). Würden Sie nur annähernd das umsetzen, was so alles auf Sie einprasselt – der Tag müsste dreimal so viele Stunden haben und Ihr Budget müsste sich vervielfachen. Vergessen wir zudem nicht die immer noch sehr aktive Fraktion der Vorschriften- und Bürokratie-Fanatiker im Berufsstand, welche die Apotheken allein schon auf Trab hält.
Ressourcenallokation ist das Zauberwort in diesem Informations- und To-do-Overkill. Die Kurzformel für die Umsetzung in die Tat lautet: filtern, bewerten, priorisieren und schlussendlich machen bzw. entrümpeln.
1. Filtern
Wer alles ungefiltert an sich heranlässt, wird schnell von Informationen erschlagen. Damit steigt das Risiko, Wichtiges zu übersehen bzw. nicht adäquat einzustufen, während mit Irrelevantem zu viel Zeit vertan wird. Das fängt bei der Post an, geht über die vielen Angebote und Vertreterbesuche und endet bei den Anliegen der Mitarbeiter, die täglich an Sie herangetragen werden. Ab einer gewissen Betriebsgröße kann man sogar über einen persönlichen Assistenten ernsthaft nachdenken.
Ansonsten gilt: Verteilung auf verschiedene Schultern. Die kaufmännischen Mitarbeiter kümmern sich um Posteingang inklusive elektronischer Korrespondenz, Sortimentsverantwortliche bzw. „Regalpaten“ auch um den Einkauf, Vertrauensmitarbeiter fungieren als erste Ansprechpartner der Teammitglieder, beim Filialleiter unterstreichen Sie das Wort „Leiter“ dick. Nach einem ausgeklügelten System lassen Sie im Wesentlichen nur noch wirklich Relevantes zu Ihnen durchdringen, ansonsten beschränken Sie sich auf die operative Erfolgskontrolle und echte Führungsaufgaben.
2. Bewerten
Kluge Führungskräfte erkennen, an welcher Stelle Risiken lauern, akuter Handlungsbedarf besteht und wo „Musik drin ist“ (sprich Potenziale zu heben sind). Manchen Unrat lässt man dagegen besser an sich vorbeischwimmen. Diese Bewertung funktioniert nur, wenn Sie eine Art Koordinatensystem entwickelt haben, valide und auf die eigene Situation hin skaliert.
Dazu sollten Sie Ihre „Value Drivers“ und „Value Killers“ kennen (sprich, wovon leben Sie in welchem Umfang und wo legen Sie drauf), eingebettet in die Situation vor Ort einschließlich der Konkurrenzlage. Sie sollten Ihren Betrieb einschließlich der Wertschöpfungsketten kennen sowie Ihren Markt – und wer noch in diesem Teich mit welchen Methoden und Ressourcen angelt. Das ist leider in der Praxis keineswegs selbstverständlich. Aber nur dann können Sie zuverlässig bewerten, ob ein Angebot, eine Spezialisierung, die aufwendige Fortbildung der Mitarbeiter, eine Investition usw. ein chancenreiches Aufwand-Nutzen-Verhältnis aufweist.
Zur Wahrheit gehören weiterhin ein ehrliches Stärke- und Schwächeprofil sowie die Identifikation von Potenzialen innerhalb und außerhalb des Betriebes. Sie sollten zudem sorgfältig überlegen, wie stark Sie sich selbst an welchen Stellen einbringen möchten bzw. aus wirtschaftlichen Überlegungen tunlichst einbringen sollten, und wo nicht. Ihr höherer Inhaber-Stundensatz sollte sich in Ihren Tätigkeiten widerspiegeln – „billige“ Tätigkeiten delegiert man so weit wie möglich an die entsprechend geeigneten Mitarbeiter.
3. Priorisieren
Als Ergebnis identifizieren Sie Ihre betriebsspezifischen „Stellschrauben“ und unterteilen sie in kleinere oder größere Rädchen bzw. Räder. Daran richten Sie Ihre Investitionen (ggf. auch Desinvestitionen) sowie den Zeit- und Personalaufwand aus.
Es hat z.B. keinen Sinn, sich aufwendig mit Kosmetik oder teurer Nahrungsergänzung auseinanderzusetzen, wenn es auf dem platten Land kaum einen Markt dafür gibt. Was bringt es, den Umsatz zwar um zweistellige Prozentsätze mit hohem Aufwand zu steigern, wenn wir am Ende doch nur über wenige Tausend Euro pro Jahr reden, davon vielleicht ein Drittel Rohertrag? Ähnliches gilt für Aktionen, die sich nur an einen ganz kleinen Prozentsatz der Kunden richten. Auch müssen Sie keine Kopfstände machen, um noch 50 Heimbetten mit vielleicht 12.000 € Rohertrag p.a. einzuwerben und dafür eine Menge Zusatzarbeit einzukaufen. Bisweilen müssen Sie ehrlicherweise an manchen Stellen gar „ausmisten“ und Schwerpunkte neu setzen, je nach Stärken, Schwächen und Marktsituation.
4. Ressourcenzuordnung
Sie wissen nun, wo es lohnt, tiefer zu schürfen und gegebenenfalls zu investieren, wo es heute bereits gut läuft und die Stabilisierung des Status quo gefragt ist, und an welchen Stellen „ausgemistet“ gehört. Entsprechend findet die eigentliche Ressourcenallokation, d.h. die Zuweisung der sinnvoll erforderlichen Mittel statt:
- Für einzelne Betriebsbereiche, Sortimente und Projekte,
- aufgeschlüsselt in Stunden und gefolgt die Kosten in Euro,
- verteilt auf Chef(in), die Mitarbeiter bzw. auf beauftragte externe Dienstleister und Experten,
- unter weitgehender Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Interessen der Adressierten: die richtige Person für die passende Aufgabe!
Das Ergebnis sind To-do-Listen und Workflows: Wer macht was wann und in Zusammenarbeit mit wem unter bestmöglicher Ausschöpfung seiner Kräfte? Dies lässt sich dann sogar visualisieren: An welcher Stelle, in welchen Prozessen stecken welche Zeiten, Kosten und im Gegenzug Erträge? Was wird ohne direkten Ertrag erbracht (z.B. allgemeine Verwaltung, Bürokratie) und muss unter enger Kontrolle gehalten werden?
Vergessen Sie bitte nie die laufende Ergebniskontrolle! Passen die Zeit- und Kostenansätze? Stehen positive oder negative Deckungsbeiträge hinter den einzelnen Segmenten und Projekten? Was sollten Sie folglich beenden, weiterführen oder doch ausbauen? Mit einer solchen Herangehensweise lernen Sie nicht nur viel über Ihren Betrieb und die Verteilung der Wertschöpfung, Sie gehen mit Ihren Ressourcen, ob Geld, Zeit oder Nervenkraft, schlicht bewusster um!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(03):4-4