Ute Jürgens
Bisher wurde das Thema der psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz vermutlich in den wenigsten Apotheken bearbeitet. Dabei drohen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften möglicherweise sogar Bußgelder oder Regressforderungen. Der Gesetzgeber macht keine genauen Vorschriften, so bleibt ein großer Spielraum für die Apotheken, die Schwerpunkte auf die jeweiligen Gegebenheiten einzurichten.
Einen kurzen Einstieg in das Thema bietet ein Erklärfilm der GDA (www.gda-psyche.de/SharedDocs/Videos/DE/erklaerfilm.html). Bei der GDA (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie) handelt es sich um eine Initiative von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern mit dem Ziel, das Arbeitsschutzsystem in Deutschland zu modernisieren.
Zunächst zum Verständnis: Es geht nicht um eine Prüfung der inneren psychischen Belastungslage aller einzelnen Mitarbeiter, sondern um die Feststellung, wo im Betrieb psychische Belastungen entstehen können bzw. schon vorhanden sind. Man dokumentiert also die Gegebenheiten im Betrieb unabhängig vom einzelnen Angestellten und dessen momentaner Gemütslage.
Der Hintergrund: Krankmeldungen sind heutzutage bei Weitem häufiger psychisch bedingt als früher. Das Ausmaß, die verringerte Leistungsfähigkeit und die volkswirtschaftlichen Konsequenzen zwingen den Gesetzgeber zum Handeln. Daher wurde das Arbeitsschutzgesetz §5 erweitert, zu den bekannten körperlichen Gefährdungen durch Chemikalien etc. kommt nun die Aufgabe, psychische Gefährdungen zu ermitteln, zu dokumentieren und Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Gemeint sind zum Beispiel Gegebenheiten wie zu lange Arbeitszeiten, dauernder Zeitdruck und Über- sowie Unterforderung oder ungünstiges Führungsverhalten. Es handelt sich also nicht um eine neue Aufgabe des Apothekenleiters bzw. eine Art Seelsorge für die Angestellten, sondern um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. In erster Linie könnte man das Thema als zu erledigende Formalie betrachten. Es bietet sich jedoch in zweiter Linie eine gute Gelegenheit, sich die Lage zunutze zu machen und suboptimale Konditionen zum Vorteil aller zu verbessern.
Zur Umsetzung schlägt die GDA sieben Schritte vor:
Schritt 1: Festlegen von Tätigkeiten/Bereichen. Hier bieten sich die oft schon ausgearbeiteten Arbeitsplatzbeschreibungen der entsprechenden Berufe an. Man unterscheidet vier Bereiche: Arbeitsorganisation, Arbeitsaufgabe, Arbeitsumgebung und soziale Beziehungen.
Schritt 2: Ermittlung der psychischen Belastung der Arbeit. Welche Tätigkeiten sind mit welchen möglichen Belastungen behaftet, was könnte stören? Was ist eventuell darüber hinaus, unabhängig von den einzelnen Arbeiten, beeinträchtigend? Gibt es zum Beispiel grundsätzlich zu wenig Informationen oder widersprüchliche Anweisungen vom Apothekenleiter und seinem Stellvertreter? Bestehen Konflikte irgendeiner Art? Gibt es Unordnung in einzelnen Räumen oder Bereichen, die ständiges Suchen und Zeitverluste verursachen, oder ist zu viel Ordnung da und es ist aufwendig, diese aufrechtzuerhalten? Sammeln Sie zunächst alles, was Ihnen ein- und auffällt. Man kann entweder assoziativ vorgehen oder eine der GDA-Methoden zur Findung nutzen, wobei diese meist auf größere Betriebe ausgelegt sind.
Schritt 3: Beurteilung der psychischen Belastung der Arbeit. Aus den Ergebnissen von Schritt zwei erfolgt nun die Beurteilung der tatsächlichen Gefährdung. Müssen Maßnahmen zum Arbeitsschutz getroffen werden? Grundsätzlich sollte die Beurteilung sachlich begründet und die Vorgehensweise nachvollziehbar sein. Eine Mitarbeiterbefragung, schriftlich (offen/anonym) oder mündlich, bringt Klarheit.
Einfach und effektiv: Der Qualitätsbeauftragte hängt eine Liste mit den gefundenen Gefahrenquellen auf. Nach dem Ampelsystem markiert jeder Angestellte nach seinem Empfinden die einzelnen Punkte mit Rot, Gelb oder Grün. Bei Rot besteht dringender Handlungsbedarf, je mehr Mitarbeiter die Markierung gesetzt haben, desto höher befindet sich die Gefährdung auf der To-do-Liste. Gelb ist nachrangig, Grün naturgemäß irrelevant. Wenn nach einiger Zeit ein Update erfolgt, nehmen Sie diese Liste als Grundlage, bei Bedarf ergeben sich neue Punkte. Es kann gut sein, dass zu Beginn mit Gelb Markiertes auf Rot rutscht und umgekehrt.
Schritt 4: Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen. Hier entwickelt am besten das Team (s.u.) geeignete Ideen, die Liste wird nach Dringlichkeit abgearbeitet. Alles, was schnell umsetzbar ist, geht direkt „an den Start“. Wenn noch unklar ist, ob eine Maßnahme tatsächlich geeignet ist, machen Sie einen Probelauf auf Zeit. Danach wird die Maßnahme entweder variiert oder bei Eignung beibehalten. Das Ganze sollte zeitnah geschehen und nicht immer wieder um Wochen und Monate verschoben werden.
Schritt 5: Wirksamkeitskontrolle. Nun wird kontrolliert, ob die Änderungen etwas gebracht haben oder die psychische Gefährdung nach wie vor besteht. Eine schriftliche Kurzbefragung ist der mündlichen vorzuziehen. Auch dies wird dokumentiert. Meistens hat sich die Situation gebessert. Ist das nicht der Fall, stellt sich die Frage: Brauchen wir mehr Zeit oder ist es die falsche Maßnahme gewesen? Dementsprechend handeln Sie.
Schritt 6: Aktualisierung/Fortschreibung. Hier wird kein Zeitraum angegeben, sondern man reagiert auf veränderte Bedingungen, wie zum Beispiel eine hohe Personalfluktuation, den Umzug der Apotheke in eine ganz andere Umgebung oder große technische Erneuerungen wie einen Kommissionierer. Neues Spiel – neues Forscher- und Dokumentationsglück. Geeignete Zeitpunkte für regelmäßige Überprüfungen sind z.B. eine Rezertifizierung oder Revision, an die Sie eine Überarbeitung der psychischen Gefährdungsbeurteilung anknüpfen können.
Schritt 7: Dokumentation. Das ganze Vorgehen wird protokolliert, Folgendes sollte enthalten sein: die Beurteilung der Gefährdungen, die Festlegung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen einschließlich Terminen und Verantwortlichen, die Durchführung der Maßnahmen, die Überprüfung der Wirksamkeit und das Datum der Erstellung.
Alles kann in elektronischer oder Papierform festgehalten werden. Sinnvoll ist eine gewisse Ausführlichkeit, damit man bei Aktualisierungen und Wechsel der bearbeitenden Person gleich wieder hineinfindet und Bezug nehmen kann, anstatt zu rätseln, „wie das nochmal gemeint war“.
Grundsätzlich ist das ganze Team einzubeziehen, da jeder einen unterschiedlichen Blickwinkel hat und auf diese Weise ungünstige Bedingungen eher erfasst und verbessert werden. Vieles liegt im Auge des Betrachters, nicht jeder ist gleichmäßig stark betroffen. Wenn gerade viel zu tun ist, fühlt sich der eine Mitarbeiter überfordert und ist gestresst, der andere freut sich und meint: „Endlich ist mal was los, das wurde ja schon langweilig!“ Wie gesagt, liegt der Fokus erst einmal auf dem Erfassen der Möglichkeit einer psychischen Gefährdung, nicht auf der tatsächlichen Betroffenheit jedes Einzelnen.
Im Internet finden sich zahlreiche Quellen zur Umsetzung der gesetzlichen Auflagen, u.a. auf den Websites von Adexa, GDA oder der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Informationen gibt es aber auch von den Unfallkassen und den Berufsgenossenschaften. Gewarnt sei vor unseriösen Anbietern, die ihre Dienstleistungen unter Hinweis auf mögliche Bußgelder aufdrängen und nur auf ihren eigenen Gewinn aus sind.
Buch-Tipp
Ralf Neuner: Psychische Gesundheit bei der Arbeit – Betriebliches Gesundheitsmanagement und Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Verlag Springer Gabler (2015) 24,99€
Annette Blumenschein, Ingrid Ute Ehlers: Ideen managen – Eine verlässliche Navigation im kreativen Problemlösungsprozess. Verlag Springer Gabler (2016) 34,99€
gern zu bestellen beim Deutschen Apotheker Verlag Telefon: 0711/2582 341, Telefax: 0711/2582 290, E‑Mail: service@deutscher-apotheker-verlag.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(04):10-10