Karin Wahl
Es ist der Ehrgeiz jedes Außendienstlers, so viel wie möglich Umsatz zu machen, da sich die Bezahlung oft nach dem Erfolg richtet. Traditionell ist häufig noch der Chef derjenige, der die Direktbestellungen in der Apotheke übernimmt. Es geht schließlich oft um viel Geld, für das der Inhaber eine adäquate Gegenleistung des Lieferanten heraushandeln will:
- maximaler Rabatt,
- ggf. Lieferung in Tranchen (wegen Lagerraum, Verfall!),
- Sicherheit, dass zwischenzeitlich keine Produktumstellung bzw. ein Redesign erfolgt,
- Abverkaufshilfen, Proben, Broschüren, Beratungsleitfäden etc.,
- attraktive Schaufensterdeko,
- Werbekostenzuschüsse aller Art (für Flyer, Homepage, bevorzugte Platzierung u.a.),
- Ausschank oder Beratungstag durch einen Mitarbeiter der Firma, um eigenes Personal nicht mehr zu belasten,
- Unterstützung bei Vorträgen
- und gerne auch kleine Annehmlichkeiten für das Team.
Viele Chefs trauen diesen Verhandlungsmarathon anderen nicht zu, obwohl die richtigen, gut eingewiesenen Mitarbeiter sogar bessere Ergebnisse erzielen könnten. So bedienen sie sich gerne selbst bei der Verhandlung ihrer EDV und checken die Abverkaufszahlen des Vorjahreszeitraums. Mitarbeiter werden hier selten einbezogen. Somit kann es im Eifer des Gefechts schnell passieren, dass man optimistisch viel zu viele Sonnenschutzpräparate, Kapseln gegen Reisedurchfall oder vermeintliche „Innovationen“ ordert.
Selbst wenn die früheren Rabattschlachten so nicht mehr erlaubt sind (u.a. Naturalrabattverbot!), finden Unternehmen häufig Mittel und Wege, doch attraktiver als der Mitbewerber zu sein. Da Inhaber auch nur Menschen sind, knicken sie trotz bester Vorsätze immer wieder ein.
Sicht- und Freiwahl managen
Die Paketdienste und Großhandelsfahrer schleppen dann in den Folgewochen sehr zur Begeisterung des Backoffice-Teams Paket um Paket an. Die darauffolgende Umstellung der Sichtwahl jedes Quartal ist ein Kraftakt, der sich aber lohnt. Das Auge kauft mit, und so ergibt ein Category Management in Sicht- und Freiwahl wirklich Sinn. Eine ausgeklügelte Regalbestückung erfordert dann eine Einräumliste:
- Welches Produkt steht neben welchem Konkurrenzprodukt?
- Was steht links und was rechts?
- Da 90 % der Menschen Rechtshänder sind, sollten immer die hochwertigeren Produkte und die Großpackungen rechts stehen, weil eher rechts zugegriffen wird.
- Welche Produkte stehen oben, welche in Augenhöhe, welche auf dem unteren Regalboden?
- Soll je nach Sichtwahl und Apothekengröße doppelt platziert werden?
- Mögliche Zusatzverkaufsprodukte immer daneben platzieren! Beispiel: Neben die Creme gegen Lippenherpes kommt ein Lippenpflegestift mit hohem Lichtschutzfaktor.
- Kunden studieren gerne die Verkaufspreise, deshalb stets gut lesbare Preisschilder anbringen (heute elektronisch?).
- Regalstopper, sofern nicht zu groß, lockern eine lange Sichtwahl auf.
- Platziert man Phytopharmaka neben den klassischen Produkten oder erstellt man dafür ein eigenes „Phyto-Regal“?
Der Kunde, der auf seine Rezepte wartet, hat in Ruhe Zeit, sich mit den Angeboten der Sichtwahl zu beschäftigen. Ist die Anordnung selbsterklärend, kommt der Kunde damit leicht zurecht. Impulskäufe in nennenswerter Zahl sind die Folge. Liegen hingegen erst einmal die Medikamente auf dem Tisch, wird der Kunde durch die Kommentierung und Beratung so abgelenkt, dass er keine Augen mehr für die Sichtwahl hat.
Viele OTC-Produkte sind durch Werbung schon zu einem gewissen Teil „vorverkauft“. Oft kennen die Kunden die Slogans der Produkte. Hat man professionelle und gut ausgebildete Mitarbeiter, haben diese gern die Eigenschaft, die vom Chef mit besten Verhandlungsstrategien georderten Produkte eben nicht zu verkaufen. Sie beraten nach ihrem eigenen „besten Wissen und Gewissen“!
Das führt zu absolut unnötigen Konflikten im Team, besonders wenn der Inhaber aus Gründen der Marktmacht gegenüber den Lieferanten gleich für alle Filialen eingekauft hat. Die qualifizierten Mitarbeiter fühlen sich bevormundet und abgewertet, wenn sie ein Produkt aktiv anbieten sollen, hinter dem sie nicht stehen.
Natürlich gibt es Mitarbeiter, die gerne gesagt bekommen möchten, was sie abgeben sollen. Dann brauchen sie nicht viel zu überlegen, sondern müssen sich nur zur gut beschrifteten Sichtwahl umdrehen und zugreifen. Doch jeder Chef hat das Privileg, sich seine Mitarbeiter auszusuchen, sie anzuleiten und zu entscheiden, ob er Mitarbeiter will, die „ihr Hirn bei der Arbeit einschalten“, oder solche, die schematisches Arbeiten bevorzugen.
Die Lösung liegt nahe ...
Dabei ist die Lösung so einfach! Berufen Sie vier Mal jährlich eine Teamversammlung nur zum Thema „Empfehlungspräparate für die nächste Saison“ ein.
Dafür werden im Vorfeld alle Angebote der Außendienste abgefragt und gelistet. Man sollte zu jeder Indikation auf einem Regalboden nicht mehr als vier Produkte platzieren, also z.B. gegen Sonnenbrand und Mückenstiche zwei bekannte Marktführer aus dem klassischen Bereich, ein Phytopharmakon und ein homöopathisches Präparat. Hat man sich auf eine solche Auswahl grundsätzlich geeinigt, ist es jetzt Sache des Einkäufers – Chef oder zuständiger Mitarbeiter –, Produkte mit hohem Stücknutzen zu ermitteln. So kommt der Chef zu seinem Gewinn und die Mitarbeiter waren trotzdem bei der Auswahl beteiligt und fühlen sich nicht „überfahren“.
Möchte der Kunde hingegen keines dieser Produkte, ist jeder Mitarbeiter darin frei, nach seiner persönlichen Erfahrung ein anderes Produkt auszuwählen.
Damit hat man die anzustrebende Win-win-Situation erreicht und alle sind zufrieden. Es ist eine starke Lenkungswirkung gegeben, und doch behält jeder Mitarbeiter eine gewisse Freiheit, selbst zu entscheiden.
Zum Abschluss eine wahre Geschichte aus der Praxis ...
Die Inhaberin einer großen Stadtapotheke, die allerdings nur sehr selten im HV mitarbeitet, hatte sich das Chefprivileg ausbedungen, dass nur sie die Direktbestellungen macht. Sie nahm den Außendienstmitarbeiter dann mit ins Büro und bestellte nach den Abverkaufszahlen im Rechner, nicht immer zur Freude des sehr aktiven Teams. Am Ende der Erkältungszeit erstellte eine pfiffige PKA eine Liste der Überbestände an Erkältungspräparaten. Dabei stieß man auf 90 Nasensprays eines weniger gängigen Generikums. Nach einigem Hin und Her beschloss das Team, die Ware nicht zurückzugeben, sondern mit Ertrag zu verkaufen. Das Nasenspray wurde dominant in der Mitte der Sichtwahl platziert und jedes Teammitglied verkaufte aktiv dieses Produkt.
Es war ein Kraftakt, aber in einer Woche konnte dieser „Fast-Ladenhüter“ verkauft werden bis auf eine Packung für die Schublade. Denn wenn man etwas so aktiv promotet, muss man auch mit der induzierten Nachfrage rechnen. Man feierte beim mittäglichen Kaffee den Erfolg. Ansonsten wurde eine Liste für die Chefin erstellt, welche Nasensprays man in Zukunft gerne verkaufen würde.
Die Chefin beachtete diese Liste leider nicht, der Außendienst machte irgendwann wieder seine Aufwartung und die Mitarbeiter sahen sich plötzlich mit einer Lieferung von 120 exakt dieser Sprays konfrontiert! Entsetzt fragte man sie, warum sie denn diese Unmengen eines nicht gängigen Produktes geordert habe. Die Chefin antwortete „Nach den Abverkaufszahlen haben wir alleine in einer Woche über 90 Packungen verkauft, deshalb habe ich ordentlich nachbestellt“, und rauschte davon.
Wer sich an dieser Stelle jetzt als Chef wiedererkennt, denkt vielleicht in Zukunft nicht nur über seine Abverkaufszahlen, sondern auch über die Einbeziehung seiner praxiserfahrenen Mitarbeiter nach.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(07):13-13