Karin Wahl
Apotheken haben zwar eine lange Tradition und schon viel überstanden, aber in so kurzen Intervallen wie in den letzten Jahrzehnten schlugen die Änderungen auf unseren Berufsstand noch nie ein. In den 1980er-Jahren hatte man noch Zeit, sich vom Bestellblock über die Lochkärtchen mit dem Rundläufer langsam an die Computerisierung anzunähern. Selbst heute existieren bisweilen POR und POS noch nebeneinander.
Das Aufkommen der Versichertenkarte trieb die Apotheker mit immer umfangreicheren, angeblich unverzichtbaren IT–Lösungen vor sich her. Wir haben Rezeptscanner, Computerkassen und Kommissionierautomaten, aber die „Alleskönner-Versichertenkarte“, die alles vereinfachen sollte, gibt es immer noch nicht. Apotheken ersticken in immer mehr Vorschriften und Bürokratisierung, teilweise gedacht als Schutz vor der außerapothekerlichen Konkurrenz, die das jedoch nicht von Angriffen auf unsere Kernkompetenzen abhält.
Einfluss von Kassen und Konzernen nimmt zu
Der zunehmende Einfluss der Krankenkassen, die Europäisierung und Globalisierung mit einflussreichen Konzernen werden den deutschen Apotheken immer mehr zu schaffen machen und die Schutzzäune einreißen. Das erfordert, dass die Apotheke als modernes Unternehmen mit der richtigen Strategie aufgestellt wird. Bei zu vielen Apotheken ist der Investitionsstau groß. Selbst derzeit erfolgreiche Apotheken dürfen sich nicht zurücklehnen. Es fällt auf, dass mangels schlüssiger existenzsichernder Konzepte in der Standesführung immer mehr Apotheker sich selbst auf den Weg machen, experimentieren und Fakten schaffen. Früher konnte man noch an Kollegialität und Berufsethos appellieren, auch wenn sich nie alle daran gehalten haben, aber heute geht es um „fressen oder gefressen werden“.
Junge Kollegen, oft mit betriebswirtschaftlichen Zusatzqualifikationen, sehen sich immer weniger als „der Apotheker in seiner Apotheke“, sondern immer stärker als Apothekenmanager, gerne mit 15 oder mehr Filialen – mehrere Approbationen in der Familie machen es möglich. So gewinnt man Marktmacht und weckt das Interesse von Kapitalgesellschaften. Ist der Geist erst mal aus der Flasche, bekommt man ihn nicht mehr dorthin zurück!
„Manager-Apotheker“ sehen sich weniger im HV bei der Beratung von Oma Müller, sondern mehr als Strategen zur Mehrung des Ertrages und der Marktsicherung durch Expansion und Filialisierung. Wenn man die Gesetzgebung der EU verfolgt, ist zu befürchten, dass sich dort Richter finden werden, die irgendwann das Fremd- und Mehrbesitzverbot kippen. Internationale Konzerne stehen schon lange in den Startlöchern! Manch einer erklärt jetzt resigniert, die paar Jahre werde ich das noch durchstehen, dann werfe ich den Bettel hin und genieße meine Altersversorgung. Diesen Luxus können sich allerdings nur recht wenige leisten. Der Rest kommt an der Alternative „verändern oder untergehen“ nicht vorbei!
Dabei müssen folgende Fragen ehrlich beantwortet werden:
- Wie lange will oder muss ich noch weitermachen?
- Will ich überhaupt noch einmal Gas geben, ist das mit überschaubaren Mitteln machbar?
- Wie steht die Apotheke im Moment da?
- Wie war die Entwicklung in den letzten Jahren?
- Die Aussichten am Standort: Wächst das Umfeld in puncto Bevölkerung, Ärzte, Geschäfte, Kaufkraft oder nicht?
- Wie ist meine finanzielle Situation, soll ich mich noch einmal verschulden?
- Ziehen Familie und Team mit?
- Wer hilft mir, die Apotheke noch einmal aufzupeppen?
- Welche Schwerpunkte will ich die nächsten Jahre besetzen?
- Wie unterscheide ich mich wirksam von Mitbewerbern?
Dabei ist es kein Beinbruch, wenn man sich nach ehrlicher Beantwortung der Fragen für einen geordneten und stilvollen Ausstieg entscheidet. Sehr bedauerlich ist, wenn Kollegen völlig frustriert dem Niedergang des eigenen Lebenswerkes beiwohnen und machtlos zusehen, wie andere jetzt das „Geschäft“ machen. Diejenigen, die noch mehr als zehn Jahre bis zur Rente haben, müssen sich entscheiden, ob sie hinschmeißen und was ganz anderes machen oder die Ärmel hochkrempeln und mit einem besonderen Konzept noch einmal durchstarten wollen.
Beachtung und Wertschätzung sind weiterhin gefragt
Die Apotheke mit ihrer Versorgungsfunktion wird weiter gebraucht werden und bietet Zukunft, allerdings nicht mehr mit 08/15-Konzepten. Neues ist gefragt. Dabei ist die gute Nachricht, dass sich das Bedürfnis der Menschen nach Beachtung und Wertschätzung nicht geändert hat. Man muss sich nur fragen, welche konkreten Bedürfnisse haben meine Kunden an meinem Standort? „Die Apotheke“ gibt es nicht! Was an einem Standort funktioniert, muss nicht auch an einem anderen Standort funktionieren. Das mussten viele Kollegen bei der Filialisierung schmerzhaft lernen. Dennoch ist der Trend zur Filialisierung ungebrochen, denn dann steigt die Wirtschaftlichkeit und das finanzielle Risiko bei eventuellen Fehlentscheidungen sinkt. Das heißt aber nicht, dass man nur mit Filialen erfolgreich werden kann. Denn Filialen brauchen topfite Filialleiter und Filialteams.
Bin ich ein engagierter und präsenter Apotheker in meiner gut geführten Apotheke, kann ich durch die richtigen kundenorientierten Maßnahmen auch mit einem Ladenlokal zu einem sehr guten Umsatz und Ertrag kommen. Dinge, die falsch laufen, werden zeitnah bemerkt und sind behebbar und werden nicht erst über die BWA oder Kunden, die mit den Füßen abgestimmt haben, sichtbar.
Aus dem Windschatten der Ärzte lösen
Es gibt genügend Beispiele sehr erfolgreicher Apotheken mit ganz unterschiedlichen Konzepten. Was machen die anders? Sie wollen etwas Besonderes anbieten. Dafür braucht es zuerst einmal Analysen und Gespräche mit vielen Marktteilnehmern. Oft hilft, sich Apotheken im Ausland anzuschauen wie in der Schweiz, in Großbritannien, in den USA, die ganz unterschiedlichen Gesundheitssystemen angehören und als akademische Heilberufe verantwortliche Aufgaben wie Impfungen oder Wiederholungsrezepte sehr gut umsetzen.
Deutsche Apotheken könnten auch viel mehr leisten, als man ihnen erlaubt. Sie sind Unternehmen mit angezogener Bremse. Wenn sich die Apotheken nicht aus dem Windschatten der Ärzte lösen, werden sie nie als unverzichtbarer Berufsstand wahrgenommen werden. Das bedarf natürlich der Augenhöhe zwischen den Gesundheitsberufen, unterlegt durch ausgezeichnetes Fachwissen, Kompetenz und eine gewisse Autorität.
Bei solch einer Strategie sind die Umsätze mit den Krankenkassen immer noch die Basis. Aber als Apotheke muss man weg von den extrem hohen Umsatzanteilen mit diesen Partnern. 75 % und mehr GKV-Umsatz schaffen Abhängigkeit. Die Kunst ist, ohne ein Rezept zu verlieren, dieses Verhältnis durch attraktive Gesundheitsangebote in Prozentsätze wie 50:50 zu ändern. Je unabhängiger die Apotheke von einzelnen Verordnern wird, desto größer werden der Aktionsradius und das Selbstbewusstsein und desto geringer wird die Erpressbarkeit. Auf je mehr Füßen man steht, desto schwerer ist man umzuwerfen. Trifft es dann ein Segment durch gesetzgeberische oder lokale Änderungen, lässt sich das leichter kompensieren.
Unabdingbar ist, dass man 100%ig hinter seinem Konzept steht und es mit Herzblut lebt. Kunden wissen das zu schätzen und sind Garanten für die Existenzsicherung! Der lokale Markt muss dabei immer beobachtet, regionale und überregionale Trends müssen richtig eingeschätzt werden. Egal wie erfolgreich man wird, man darf sich nie auf den erworbenen Lorbeeren ausruhen! Und egal wie man sich zur obigen Frage des Veränderns oder Untergehens entscheidet: Nicht zaudern, sondern durchziehen, dann ziehen auch die Familie und das Team mit. Das Wichtigste aber ist, dass man wieder Freude an den selbst gewählten Aufgaben hat und seinen Lebenssinn lebt.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(13):13-13