Prof. Dr. Reinhard Herzog
48,1 Mrd. € Nettoumsatz der Branche (Vorjahr: 47,2 Mrd. €) bei 20.023 Apotheken am Jahresende (Vorjahr: 20.249), 4.416 Filialen (Vorjahr: 4.281), 2,22 Mio. € Umsatz je Apotheke, 142.600 € Jahresgewinn vor Steuern – das waren die diesjährigen Rahmendaten seitens ABDA und DAV.
Umsatz
Schon die Umsatzermittlung hat es in sich. So wurde seitens der ABDA die Datenbasis verändert. Das führt dazu, dass der Vorjahresumsatz von ehemals 47,8 auf 47,2 Mrd. € korrigiert wurde; die Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes weist 47,4 Mrd. € aus. Das Wachstum 2016 betrug nach Angaben von QuintilesIMS im Arzneimittelbereich ca. 3 % nach Umsatz und vergleichsweise bescheidene 0,9 % nach Packungen. Das GAmSi-Informationssystem (www.gkv-gamsi.de) weist für die GKV-Fertigarzneimittel in 2016 ein Plus von 1,6 % auf 657 Mio. Packungen (davon 600 Mio. Rx) aus, bei einem Umsatzzuwachs von 3,1 %. Insgesamt wurden zulasten der GKV 761 Mio. (+1,5 %) Verordnungen getätigt. Die Differenz erklärt sich aus Nicht-Fertigarzneimitteln wie Rezepturen (rund 10,5 Mio. inklusive Parenteralia), aber auch beträchtlichen Mengen an Nicht-Arzneimitteln (allein rund 25 Mio. Teststäbchen-Packungen). In der GKV machen die Nicht-Fertigarzneimittel mittlerweile 14,6 % nach Bruttoumsatz vor Rabatten aus.
Außerhalb der GKV dominierten ebenfalls die Pluszeichen, allerdings inklusive Versand. Fortgeschrieben von den offiziellen Umsatzsteuerstatistiken, würde das einen Branchenumsatz von knapp 49 (statt 48,1) Mrd. € erwarten lassen – geschenkt.
Viel wichtiger ist, wo dieser Umsatz steckt. Publizierte 2,22 Mio. € Umsatz der durchschnittlichen Apotheke mal ca. 20.100 Apotheken im Jahresdurchschnitt 2016 ergeben 44,6 Mrd. €. Da „fehlen“ zu den ABDA-Zahlen rund 3,5 Mrd. €, tatsächlich eher über 4 Mrd. €. Seit einigen Jahren klaffen Branchen- und Offizinwerte immer weiter auseinander. So reiben sich viele Apotheken die Augen angesichts der allgemeinen Marktentwicklung, denn bei ihnen kommt nur wenig davon an. Woran liegt es?
Datenbasis
Die Betriebszahlen fußen auf einem validen Datenpanel der Treuhand Hannover Steuerberatungsgesellschaft mit beachtlichen 2.500 Apotheken. Die „typischen Offizinapotheken“ dürften hier sehr gut abgebildet sein. Schwierig wird es jedoch bei der Erfassung singulärer „Riesen“, bei Versandapotheken (ausländische sowie deutsche) sowie den Spezialumsätzen in der Hand weniger Player (von Parenteralia und Substitutionstherapie bis hin zur Krankenhaus- und sonstigen Institutionsbelieferung in großem Stil). Allein die Spezialrezepturenmachen heute über GKV und PKV hinweg etwa 3,5 Mrd. € netto aus, der Versand rund 1,6 Mrd. €. Gut 10 % des Branchenumsatzes kommen somit heute gar nicht mehr in der typischen Offizin an.
Regionale Unterschiede
Regional sehen wir bereits auf Länderebene erhebliche Unterschiede in den Verordnungszahlen. So betragen die GKV-Bruttoumsätze aller Verordnungen („Rezept-Taxwerte“) bundesweit 606 € je Versicherten, am wenigsten in Schleswig-Holstein (516 €), am meisten in Mecklenburg-Vorpommern (778 €).
Die Abbildung 1 zeigt die teils beträchtlichen und standortrelevanten prozentualen Abweichungen der GKV-Verordnungen in den einzelnen Bundesländern vom Bundesdurchschnitt = 100 %. Die Werte fußen wiederum auf den Daten des GAmSi-Informationssystems für 2016. Ein weiteres Indiz: In Bayern wurden nur 7,8 Rx-Fertigarzneimittel pro Kopf zulasten der GKV aufgeschrieben, in Mecklenburg-Vorpommern hingegen 10,3. Die Wachstumsraten weichen ebenfalls teils erheblich vom Bundesdurchschnitt ab. Diese Differenzen erklären sich demografisch, aber auch politisch je nach Aktivitäten der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen und Kostenträger. Unterschiedlich gestaltet sich zudem der Anteil der Privatversicherten sowie der Barverkauf.
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„Friedhofsdividende“
Von der „Friedhofsdividende“ infolge Schließungen, welche in den apothekenbezogenen Durchschnittszahlen statistisch enthalten ist, profitieren die Apotheken naturgemäß sehr ungleich und lokal unterschiedlich. Tendenziell sind starke Apotheken bzw. Filialverbünde bevorteilt, weil ihr Marktdruck schwächere Apotheken eher aus dem Markt drängt. Wachstum beflügelt sich in einem noch relativ gut besetzten Markt selbst, während sich andererseits die „Todesspiralen“ immer häufiger drehen. Die lokale Oligopolisierung schreitet voran.
Absatzstruktur
Die durchschnittliche Offizin-Apotheke setzt heute rund 90.000 Packungen im Jahr ab, wobei hier von Arzneimitteln über Kosmetik und Medicalprodukte bis hin zu Zahnbürsten und Hustenbonbons alles enthalten ist. Hierbei sind die jeweiligen Versandanteile im Rahmen der Erfassungsgenauigkeit, ggf. sachgerecht geschätzt, schon abgezogen. Im Einzelnen sind dies:
- 36.000 Rx-Fertigarzneimittelpackungen, die für knapp 80 % des Umsatzes sorgen.
- 32.500 Stück Non-Rx-Arzneimittel (gut 10 % vom Umsatz); 19 % nach Menge/23 % nach Wert sind dabei verordnet.
- 20.000 bis 21.000 Packungen Nicht-Arzneimittel („Ergänzungssortiment“) mit einem Umsatz von knapp 5 Mrd. € = gut 10 %, wobei hiervon fast 30 % (etwa 1,4 Mrd. €) verordnet werden: Teststäbchen, Verbandstoffe, Inkontinenzprodukte, sonstige Hilfsmittel u.a. Ansonsten finden wir hier das ganze „Sammelsurium“ von Bonbons über Körperpflege bis zur Zahnpflege mit durchaus gewissen Erfassungsungenauigkeiten. Der Versand ist hier u.a. bei Teststäbchen und Hilfsmitteln, aber auch Kosmetik recht aktiv!
- Zu guter Letzt werden durchschnittlich etwa 400 bis 450 „klassische“ Rezepturen gefertigt (GKV und privat).
Die Abbildung 2 zeigt die anteilsmäßige Aufschlüsselung der Segmente nach Umsatz, Packungszahlen sowie dem hochgerechneten Rohertrag. In den neuen Bundesländern ist die Rezeptlastigkeit durchwegs noch etwas höher. Einige Werte differieren ein wenig von den offiziellen ABDA-Zahlen, weil in unserer Analyse nur auf den typischen Offizinumsatz exklusive Versand und Spezialrezepturen abgestellt wurde. Ceterum censeo machen Verordnungen aller Art bundesweit fast 85 % des Umsatzes der Durchschnittsapotheke aus und bringen rund 75 % des Rohertrages ein. Letzterer liegt im Durchschnitt und korrigiert um in der typischen Offizin gar nicht mehr ankommende Versand- und Spezialumsätze bei etwa 540.000 € bis 550.000 €.
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Umsatzverteilung
Betrachten wir die Größenverteilung der einzelnen Apotheken. Legt man die ABDA-Zahlen zugrunde, spielt sich der Großteil des Apothekenmarktes in den Betriebsgrößenklassen zwischen 1 und 3 Mio. € Nettoumsatz ab: Hier finden sich 72 % aller Apotheken, die 57 % des Umsatzes stellen. Die 52 % kleineren Apotheken < 2,0 Mio. € bringen gar nur 30 % des Umsatzes auf die Waage.
Insbesondere die Klasse der größten Apotheken > 5 Mio. € gibt zu denken: Um auf das Marktvolumen von gut 48 Mrd. € bei der Addition der einzelnen Umsatzklassen zu kommen, müssten hier rund 8 Mrd. € versammelt sein, beachtliche 1/6 des Branchenumsatzes, die gerade mal 1/30 der Betriebe für sich reklamieren.
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Filialen
Inzwischen gehören 38,1 % aller Apothekenbetriebsstätten (absolut 7.624) einem Filialverbund (inklusive Hauptapotheken) an. Sie werden von 3.208 Filialbetreibern geführt. Ihre Marktbedeutung dürfte ähnlich hoch sein: Die Hauptapotheken liegen typischerweise etwas überdurchschnittlich, die Filialen leicht unter dem Schnitt. Da quer durch die Republik lokale Märkte gern durch „Familienclans“ dominiert werden, teilen sich jedoch deutlich weniger als 3.200 „Parteien“ die besagten 38 % des Marktes. Diese Konzentration ist durchaus bedenklich. Eine völlige Freigabe des Mehrbesitzes, wie von der FDP ins Spiel gebracht, dürfte diese Ungleichgewichte noch ganz erheblich befördern.
Fazit
Angesichts der Komplexität des Marktes und seiner Zersplitterung gibt es die einfache Realität und Vergleichsbasis nicht mehr. Lokal sehen die Gegebenheiten nochmals anders aus. Beobachten Sie also vorrangig die eigene Entwicklung im Abgleich mit der Einwohner-, Arzt- und Marktentwicklung in Ihrem Umfeld. Am Ende zählt: Was gibt das Marktpotenzial vor Ihrer Apothekentüre her, und schöpfen Sie dieses bestmöglich ab?
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(13):4-4