Honorardiskussion

Wissen schützt vor Überraschungen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Noch zwei, drei Monate, und wir wissen, wie es politisch weitergeht. Zudem dürfte das Honorargutachten im Herbst vorgestellt werden. Im Gefolge dessen könnte die Apothekenhonorierung grundlegend auf den Prüfstand kommen – bedeutet das mehr Risiko oder Chance?

Zu allem Überfluss steht am 5. Oktober 2017 die BGH-Entscheidung zur Zulässigkeit der bisherigen Skonti an. Der Ausgang des Verfahrens könnte dem ganzen Prozess noch zusätzlichen Schwung in die eine oder andere Richtung verleihen. Apothekeninhaber sollten nicht den Fehler machen, alles in Unkenntnis der wirtschaftlichen Rahmendaten passiv auf sich zukommen zu lassen. Um überhaupt eine fundierte Meinung entwickeln zu können und ggf. „auf die Barrikaden“ zu gehen, sollten Sie sich möglichst bald mit Ihrer Ist-Situation auseinandersetzen. Nur so können Sie die (Un-)Vorteilhaftigkeit möglicher Reformen erkennen. Ansonsten droht ein Déjà -vu-Erlebnis von 2004. Die Umstellung auf das Kombimodell, in der Summe zwar im Wesentlichen ertragsneutral, hat doch erhebliche Verlierer, aber auch Gewinner produziert. Die meisten wussten das aber erst viel später ...

Wie kann man nun ein Honorar der Qualifikation angemessen, (leistungs-)gerecht, nutzwertorientiert und zudem finanzierbar gestalten, wenn man nicht den „freien Markt“ (den es im Gesundheitswesen ja nicht gibt) entscheiden lassen will? Die wichtigsten Varianten:

Modell „Zieleinkommen“

Hier betrachtet man regelmäßig die Gewinne der „durchschnittlichen Apotheke“ und vergleicht diese mit anderen freien Berufen bzw. Berufsgruppen im Gesundheitswesen in ähnlicher Verantwortung. Ggf. steuert man bevorzugt durch Veränderung des Kassenrabattes oder Fixhonorars nach. Das ist der gröbste und einfachste Ansatz, der die enorme Streubreite der Erträge in der Apothekenlandschaft nicht berücksichtigt und somit kaum eine z.B. regionale Steuerung zulässt.

Beim Teilgewinn-Modell – Ähnliches praktizieren die Ärzte, siehe Kasten unten – wird ein Zieleinkommen nur aus der GKV-Versorgung oder aus dem gesamten Rx-Segment definiert. Dies könnte, analog dem Oberarztgehalt bei den Ärzten, ein durchschnittliches Filialleitergehalt sein. Die Rx-Honorierung wird dann entsprechend festgelegt, wobei Ansätze für die Kosten einfließen müssen, was für Diskussionen sorgen kann: Wer definiert den „Durchschnitt“, wie sieht der Verteilungsschlüssel Rx zu Non-Rx aus etc.

Die „Sahne“ obenauf wären dann das OTC-Geschäft und ggf. noch der PKV-Anteil. Bei den Honorarverhandlungen der Ärzte um den jährlichen „Honorartopf“ bleiben die Privatpatienten ja auch außen vor ...

Exakte Kosten-/Gewinnanalyse

Der Honorarfrage kann man sich weitaus detaillierter nähern, indem man versucht, Kosten, Erträge und Gewinne exakt aufzuschlüsseln. Worauf dies hinausläuft, illustriert Abbildung 1. Am Anfang steht die Kostenerfassung und ihre Aufgliederung insbesondere bei den Personalkosten: Welche Personalressourcen entfallen auf Warenwirtschaft, Logistik, Handling, Verwaltung, welche auf den HV-Bereich (und was davon ist wirklich hehre pharmazeutische Beratung?), was erfordern „Sonderleistungen“ wie Labor, QMS, Nacht-/Notdienst?

Als nächstes ist eine Bezugsbasis zu wählen (i.d.R. Packungen oder Kunden) und eine Segmentzuordnung zu treffen: Was von den Kosten, Umsätzen, Roherträgen und (kalkulatorischen) Gewinnen entfällt auf GKV, PKV, OTC bzw. den Rx- und Non-Rx-Bereich?

Nun kann man sich zu den Deckungsbeiträgen je Packung, Kunde oder Rezept vorarbeiten; multipliziert mit der jeweiligen Anzahl ergeben sich die Zielgewinne bzw. der (segmentale) Unternehmerlohn. Das alles lässt sich bewerkstelligen bis hin zur Zeiterfassung mit der Stoppuhr.

In Abbildung 2 sind die Kosten und Erträge einer Durchschnitts-Apotheke auf alle Packungen (Ø ca. 90.000 Stück p.a.) bezogen und speziell je Rx-Packung (36.500 Stück p.a.) dargestellt, unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Aufwandes. Obwohl der Beratungs- und Administrationsaufwand bei der Rezeptbearbeitung deutlich höher ausfällt, erwirtschaftet jede Rx-Arzneimittelpackung einen rund doppelt so hohen Gewinn wie eine statistische Durchschnittspackung „über alles“. Rx-Packungen in der GKV schneiden etwas schlechter, Privatverordnungen nochmals erheblich besser ab.

Würde man dagegen nur die Non-Rx-Packungen separieren und eine entsprechende Kostenzuordnung treffen, käme man zu dem Schluss, dass hier bei durchschnittlicher Ausgabenstruktur kaum Gewinn herausschaut, denn auf jeder Packung lasten bei ehrlicher Betrachtung etwa 3,50 € bis 4 € Gesamtkosten, das ist der Rohertrag typischer „Barkörbe“. Die Schwierigkeiten liegen somit auf der Hand: Welches Segment „soll“ was zum Gesamtgewinn beitragen (wir reden ja von einer Honorarfindung)? Sind Querfinanzierungen gewünscht bzw. nötig? Welche Kostenansätze sind opportun: Durchschnitt, verschiedene Schnitte je nach Apothekentyp, Benchmark-Werte?

Tatsache ist: Sie sollten Ihre Erträge, Kosten und Deckungsbeiträge je Packung in den einzelnen Segmenten kennen! Was verdienen Sie an einer Rx-Packung, was an einem GKV-/PKV-Rezept?

Dienstleistungshonorare

Angesichts der geschilderten Probleme liegt es nahe, die heutige Honorierung möglichst zu erhalten und stattdessen zusätzliche Dienstleistungen in einer Art Honorarordnung zu definieren. Die Gefahr besteht allerdings, sich zusätzlich eine Menge „Arbeit zu kaufen“, falls mit Stundensätzen um 50 € für Apothekerleistungen gerechnet wird. Dennoch wird auch die kalkulatorische Arztstunde tatsächlich nur wenig höher angesetzt! Dort lautet der Schleichweg zu höheren Einkommen „Privatpatienten“ und sonstige Einnahmen.

„Pay for Performance“ könnte eine lukrative Alternative darstellen. In der Pharmaindustrie gibt es solche Modelle bereits. So verursacht das teuerste Prozent der Patienten gut ein Drittel der Arzneimittelkosten mit über 10.000 € pro Kopf und Jahr. „10 % Kostenreduktion gehen immer“ – eine alte Beraterweisheit – plus höhere Behandlungseffizienz und Risikoreduktion würden z.B. bei Hochkosten- oder Hochrisikopatienten ein wirklich nennenswertes, deutlich dreistelliges Apothekenhonorar rechtfertigen. „Reich“ werden 20.000 Apotheken damit jedoch nicht werden, dazu sind schlicht die Fallzahlen und die Beträge (in Form des bezifferbaren ökonomischen Nutzwertes) zu gering. Zudem werden die Ärzte als Therapieverantwortliche ihr Stück vom Kuchen abhaben wollen.

Zusammenfassung

So viel man auch rechnen und auseinanderdividieren kann – ein für den Großteil der Apotheken sinnvolles und dabei neues Honorarsystem zu kreieren ist eine große, gleichzeitig riskante Herausforderung. Insbesondere das Thema Verteilungs- und Leistungsgerechtigkeit ist in unserem infolge von Filialverbünden und Spezialversorgern sehr heterogenen Markt schwer zu lösen. Die Schere ist hier viel weiter auseinandergegangen als bei den Ärzten. Jeder zusätzliche Umverteilungsmechanismus („kassenapothekerliche Vereinigung“) birgt jedoch weitere Fallen.

Bei jedem neuen Dienstleistungshonorar ist zudem immer zu prüfen, inwieweit diese Leistung nicht durch den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt, insbesondere die weiterhin rasant wachsenden Möglichkeiten der EDV, alsbald obsolet werden könnte. Dies gilt, selbst wenn es viele heute noch nicht wahrhaben wollen, zumindest perspektivisch in die Zukunft gedacht gerade für das Thema Medikationsmanagement.

Wie kann man jedoch den auch künftig erforderlichen und von den Kunden geschätzten persönlichen Kontakt als eine Art Präsenz- oder Betreuungspauschaleohne akademische Überfrachtung angemessen „einpreisen“? Kann man die Kunden verstärkt an den Kosten beteiligen, wenn der Nutzen deutlich wird? Das werden wichtige Fragen bei den Honorar- und Zukunftsdiskussionen sein. Ohne tragfähige Antworten darauf scheint somit das heutige System der packungsbezogenen Honorierung nicht das schlechteste zu sein.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de



Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(15):4-4