Zusatzverkäufe

Aus Freude an der Arbeit oder am Gewinn?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Zusatzverkäufe spülen nach üblicher Meinung manch Euro in die klammen Apothekenkassen und steigern unter dem Strich den Gewinn. Doch hält diese verbreitete Ansicht einer vertieften Analyse stand? Wie schafft man die Balance zwischen Zusatzaufwand und Zusatzertrag?

Ohne Frage liegt es nahe, den Ertrag durch zusätzliche Verkäufe und „Cross-Selling“ zu steigern. Idealerweise schafft schon die Warenpräsentation in der Apotheke so wirksame Kaufimpulse, dass ein Zusatzertrag quasi ohne Zusatzaufwand entsteht – der Kunde greift einfach zu. So funktionieren Selbstbedienungsläden, und das kann in der Apotheke ebenfalls umgesetzt werden: Einrichtungsgestaltung, Warenpräsentation, „Vorverkauf“ durch Werbung u.a.m. Der Gewinn liegt hier typischerweise auf der Hand. Dies soll aber heute nicht das Thema sein. Wir reden vom mühsam erarbeiteten Zusatzverkauf am HV-Tisch durch aktive Ansprache des Kunden, clevere und nützliche Empfehlungen sowie die damit verbundene vertiefte Erläuterung der Produkte. All dies bedeutet einen in der Summe erheblichen Zeitaufwand. Damit stellt sich die erste Frage: Rechtfertigt der Zusatzertrag überhaupt den Zeitaufwand?

Abb. 1 zeigt den Ablauf mit beispielhaften Werten. Typischerweise findet zuerst eine Vorselektion der Kunden statt, etliche (20 % bis 30 %) scheiden aus: in Eile, holt nur etwas ab, von vornherein völlig verschlossen, Fürsorgeempfänger usw. Dies gilt es auf einen Blick zu „scannen“. Dann erfolgt die erste freundliche und neugierig machende Ansprache, die eine halbe Minute, aber auch kürzer oder länger dauern kann. Viele werden trotzdem ablehnen, im Schwabenland vielleicht mehr als in Köln …

Wer Interesse hat, wird zum Produkt beraten und möglichst überzeugt, was wohl mehrheitlich, aber mitnichten bei allen gelingt. Das kostet einige Minuten. Rechnet man nun die Erfolgswahrscheinlichkeiten (siehe Bild) und die Kosten für die aufgewendete HV-Zeit dagegen, wird mancher staunen. Dabei ist das Beispiel (rund 40 Zusatzverkäufe bei 300 Kunden täglich!) schon sehr ambitioniert. Trotzdem gehen bei angenommen 4 € Rohertrag je Zusatzverkauf (= ca. 10 € bis 12 € Kundenpreis) rund 70 % des Ertrages für den Zeitaufwand drauf. Bei geringeren Erfolgswahrscheinlichkeiten kippt es ins Minus. Zudem haben wir noch gar nicht die Allgemein- und Handlingkosten je Packung berücksichtigt. Viele Zusatzverkäufe bewegen sich daher unter reinen Renditeaspekten auf einem überraschend schmalen Grat.

Ressource Zeit

Wie schnell der gesamte Rohertrag „verquatscht“ ist, illustriert die Abb. 2 für drei verschiedene „Korbumsätze“, einmal jeweils mit der Freiwahl-/Kosmetik-Spanne (30 %) und einmal mit der Sichtwahlspanne (45 %) gerechnet. Weiterhin spielt es eine entscheidende Rolle, wer zu welchen Stundensätzen „in der Bütt“ steht. So kann rein unter Kostenaspekten eine PTA (22,50 € je Stunde) gut die doppelte Zeit aufwenden wie die Chefin oder der Chef (kalkulatorischer Unternehmerlohn eher sparsame 50 €) und immer noch zwei Drittel mehr als ein angestellter Apotheker (37,50 € je Stunde). Teure Kräfte sollten sich daher bevorzugt auf anspruchsvolle Beratungsfälle mit der Chance auf hohe Zusatzerträge („Spezialkunden“) konzentrieren.

Beachten Sie zudem: Wenn Sie halbwegs auf einen Gewinn kommen möchten, dürfen Sie nur etwa die Hälfte dieser dargestellten Zeiten aufwenden! Neben dem Gewinn lasten schließlich noch Allgemein- und Bewirtschaftungskosten auf jeder Packung. Für einen Zusatzverkauf von 10 € netto (11,90 € Kundenpreis) sind das gerade einmal 4 bis 6 Minuten (PTA, 30 % resp. 45 % Spanne) oder gar nur 2 bis 3 Minuten beim Inhaber. Für den 50-€-Spezialkunden dürfen Sie sich als Chef dagegen etwa 9 bis 14 Minuten Zeit nehmen.

Das illustriert, wie sorgfältig Sie mit der Ressource Zeit gerade bei Beratungen und Verkaufsgesprächen umgehen müssen – und wer was sinnvollerweise in welcher Intensität macht.

Flexibilität ist das Zauberwort, und diese richtet sich nach der Auslastung. Steht die Apotheke gerammelt voll und die ersten Kunden drohen, mit dem Rezept in der Hand wieder zu gehen, sollten die Bediener vorne den Kunden nicht noch ellenlange Gespräche „aufdrücken“. Denken Sie an diejenigen, die dahinter in der Schlange stehen! Ist es leerer, können die Bemühungen intensiviert werden. Dieses „Umschaltspiel“, wie es im Fußball heißt, sollten Ihre Mitarbeiter beherrschen. Das ist kein einfaches Unterfangen, da jeder gerne nach „seinem Stiefel“ schafft.

Die Kundensicht

Versetzen Sie sich für einen Moment in die Lage heutiger Kunden. So werden bei fast jedem Schuhkauf Pflegesprays oder Einlegesohlen angeboten. In der Kneipe sitzen im einen Extrem die Gäste lange unbemerkt auf dem Trockenen, in anderen Fällen werden aber schon fast aggressiv Getränke durch ständiges Nachfragen aufgedrückt. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen bis hin in den medizinischen Bereich (Extra-Zahnreinigung beim Zahnarzt). Wie empfinden Sie das? Was macht den Unterschied zwischen „interessantem Zusatzangebot“ und „Aufschwätzen“ aus?

Am Ende sind die beiden Faktoren „Nutzen“ und „Emotion“ entscheidend. Aus Sicht des Kunden muss die Empfehlung „sitzen“, d.h. ihm wirklich einen Mehrwert versprechen. EDV-Unterstützung (zu welcher Verordnung bzw. zu welchem Kundenwunsch passt noch was?) und fundiertes Beratungswissen sind der Schlüssel.

Emotional können Sie Kunden ebenfalls abholen: das Spiel mit Selbstbelohnung, sich etwas gönnen, schöner aussehen (Kosmetik!), sich selbst trösten (ist ja in der Süßwaren- und Spirituosenbranche recht verbreitet), einfach besser und stärker dastehen. Hier kann man viele „Tasten auf dem psychologischen Klavier“ spielen, manche Kollegen sind hier Virtuosen (sprich Verkaufstalente), andere müssen noch üben, manch einer lernt es nie …

Sie sollten jedoch unbedingt alles vermeiden, was mehrheitlich als aufdringlich empfunden wird und schlicht unseriös bzw. „Geldschneiderei“ ist. Widerstände der Kunden sollten Sie akzeptieren und nicht mit Hardcore-Verkaufsmethoden brechen. Sie mögen damit zwar sogar Erfolg haben, aber oft nur einmal!

Optimieren

Der Erfolg von Zusatzverkäufen entscheidet sich am „Feintuning“ an mehreren Stellen:

  • Der Blick für Menschen. Wer gute Menschenkenntnis und ein situatives Gespür hat, erkennt schnell, ob jemand für ein Zusatzangebot empfänglich ist oder eher nicht. Wer es sehr eilig hat, möchte diesmal nicht weiter aufgehalten werden, beim nächsten Mal vielleicht wieder. Wer als Niedrigrenten-Bezieher Probleme hat, seine Zuzahlung zu leisten, wird kaum etwas für 15 € oder mehr einfach so mitnehmen wollen. Etliche Produktwünsche sind in sich abschließend und bedürfen keiner Zusatzempfehlung, andere hingegen schon. Wer hier den richtigen Blick entwickelt, kann bereits Zeit bei der Vorauswahl sparen. Oder möchten Sie tatsächlich jeden Kunden zwanghaft, teils lächerlich ansprechen, wie dies in vielen Läden anderer Branchen geschieht?
  • Der Zeitaufwand. Die erste Ansprache ist die entscheidende. Hier gilt es, den Kunden neugierig zu machen, zu überraschen, anzuspornen. Dabei gilt: kurz und knackig! Machen Sie sich vertiefte Gedanken, wie Sie und Ihre Mitarbeiter dem Kunden „den Mund wässrig machen“. Entwickeln Sie Standardsätze, die bei jedem sitzen müssen, gerne an die Besonderheiten und Ausdrucksweisen vor Ort angepasst! So steckt, da ja der überwiegende Teil der Kunden angesprochen wird (nach „Vorselektion“ 60 % bis 80 %), in dieser Phase ein bedeutender Teil des gesamten Zeitaufwandes. Ob hier 15 Sekunden, 30 Sekunden oder gar eine Minute benötigt werden, macht bei z.B. 200 Ansprachen am Tag einen großen Unterschied.
  • Die Produktauswahl. Die Kunst besteht darin, ein Preissegment für den typischen Zusatzverkauf zu wählen, welches zum einen bei den meisten Kunden recht leicht akzeptiert wird, also insoweit keine vertiefte Überzeugungsarbeit erfordert (Zeitaufwand!). Andererseits sollte mindestens ein Rohertrag in Höhe der typischen Kosten je Packung von etwa 3,50 € bis 4 € herausschauen. Damit ist ein Preisbereich um 10 € angesprochen, regional vielleicht etwas darunter oder auch darüber.

Fazit

Die Wahrheit liegt wie meist in der Mitte. Selbst wenn rechnerisch die Zusatzverkaufsaktivitäten nicht den erhofften Ertrag bringen, heißt das nicht, jetzt ganz darauf zu verzichten. Erwarten Sie davon aber auch nicht die Rettung eines ertragsschwachen Betriebes. Vielmehr sollten Sie zuerst den Nutzen des Kunden in den Vordergrund rücken. Wirklich sinnvolle, „preiswerte“ (= „ihren Preis wert“, das bedeutet eben nicht nur billig) Empfehlungen werden ganz überwiegend geschätzt, selbst wenn sie nicht in jedem Fall angenommen werden. Verkaufen um des Verkaufens willen, das berühmte „Aufschwätzen“, kann jedoch ganz schnell ins Gegenteil umschlagen: Die Kunden stimmen mit den Füßen ab!

Somit gilt es, abhängig von Region und Kundenstruktur, einen eigenen „Königsweg“ zu entwickeln, auf welchem der richtige Ton gegenüber den Kunden die erfolgreiche Musik macht. Haushalten Sie aber mit der wichtigen und teuren Ressource Zeit! Neben der Kundeneinschätzung (bei wem macht was Sinn?) ist die effiziente Gesprächsführung ein essenzieller Erfolgsfaktor: Spannend, neugierig machend, gleichwohl knapp und präzise sind die Stichworte.

Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die auslastungsorientierte Flexibilität: Steht der Laden randvoll, wird nicht die gesamte Zusatzverkaufspalette durchgezogen. In schwächeren Zeiten wird sich dafür umso intensiver gekümmert. Dann sollte es auch mit nachhaltig „schwarzen Zahlen“ selbst bei den meist vergleichsweise niedrigpreisigen Zusatzartikeln klappen.

Apotheker Dr. Reinhard Herzog, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(16):4-4