Helmut Lehr
Erben Kinder Vermögen von ihren Eltern, können sie bei der Berechnung der Erbschaft- und Schenkungsteuer einen persönlichen Freibetrag von 400.000 € in Abzug bringen. Unter Umständen ist neben den allgemein bekannten Vergünstigungen wie z.B. Freistellungen für Hausrat etc.1) noch ein weiterer Abzug möglich, nämlich der sogenannte Pflegefreibetrag. Das Gesetz spricht zwar nicht eindeutig von einem Freibetrag, sondern formuliert wie folgt2):
„Steuerfrei bleiben … ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000 €, der Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist.“
Die Besteuerungspraxis geht allgemein von einem Freibetrag aus, der allerdings nur dann in Höhe von 20.000 € gewährt werden soll, wenn dies auch mindestens der Höhe der zuvor erbrachten Pflegeleistungen entspricht. Außerdem müssen die Pflege- oder Unterhaltsleistungen unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt im persönlichen oder privaten Bereich erbracht werden/worden sein.
Hinweis: Der Freibetrag kann auch bei Schenkungen beansprucht werden.
Beispiel: Frau Endriss ist Miterbin ihrer Mutter, zu deren Nachlass unter anderem Bankguthaben in Höhe von 785.000 € gehören. Die Mutter war ca. zehn Jahre vor ihrem Tod pflegebedürftig geworden (Pflegestufe III, monatliches Pflegegeld von bis zu 700 €). Frau Endriss hatte ihre Mutter in ihr Haus aufgenommen und auf eigene Kosten gepflegt.
Auffassung der Finanzverwaltung
Die Finanzbehörden vertreten grundsätzlich die Ansicht, dass der „Pflegefreibetrag“ nicht bei Erwerbern in Betracht kommt, die gesetzlich zur Pflege (z.B. Ehegatten nach § 1353 Bürgerliches Gesetzbuch) oder zum Unterhalt (z.B. Verwandte in gerader Linie nach § 1601 Bürgerliches Gesetzbuch) verpflichtet sind. Deshalb wird der Freibetrag Kindern, die ihre Eltern gepflegt haben, bislang nicht gewährt.
Für Kinder besteht zwar keine gesetzliche Verpflichtung zur Pflege, aber eine gesetzliche Unterhaltspflicht. Nach Ansicht der obersten Finanzbehörden der Länder reicht es aus, wenn eine dieser Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt ist, um die Gewährung des Freibetrags auszuschließen3).
Hinweis: Vor diesem Hintergrund kann nach bisheriger Ansicht der Finanzverwaltung der Pflegefreibetrag im Beispiel nicht gewährt werden.
Machtwort des Bundesfinanzhofs
Das oberste deutsche Steuergericht hat der Verwaltungsauffassung jetzt in einem vergleichbaren Fall eine klare Absage erteilt4). Danach gilt: Hat ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil gepflegt, ist es berechtigt, nach dem Ableben des Elternteils bei der Erbschaftsteuer den sogenannten Pflegefreibetrag in Anspruch zu nehmen! Die allgemeine Unterhaltspflicht zwischen Personen, die in gerader Linie miteinander verwandt sind, steht dem nicht entgegen.
Nach Ansicht des Gerichts ist der Begriff „Pflege“ weit auszulegen und erfasst die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig im Sinne des § 14 Abs. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch alte Fassung und einer Pflegestufe nach §15 Abs. 1 Satz 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch alte Fassung zugeordnet war.
Der Bundesfinanzhof trägt damit auch der Intention des Gesetzgebers Rechnung, die steuerliche Berücksichtigung von Pflegeleistungen zu verbessern. Da Pflegeleistungen üblicherweise innerhalb der Familie, insbesondere zwischen Kindern und Eltern erbracht werden, liefe die Freibetragsregelung bei Ausschluss dieser Personen nahezu leer.
Hinweis: Betroffene Erben bzw. „Beschenkte“ sollten ablehnende Bescheide anfechten und auf die neue Rechtsprechung verweisen. Weil das Urteil sehr eindeutig ausgefallen ist, dürfte die Finanzverwaltung nicht umhinkommen, anderslautende Anweisungen aufzuheben – allerdings kann dies erfahrungsgemäß noch etwas dauern.
Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass sich die Höhe des Freibetrags nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt und dass Vergütungssätze von entsprechenden Berufsträgern als Vergleichsgröße herangezogen werden können. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen soll der Freibetrag aber ohne Einzelnachweis gewährt werden.
Hinweis: Besonders bedeutsam ist der Umstand, dass der Erbe den Freibetrag nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn der Erblasser zwar pflegebedürftig, aber z.B. aufgrund eigenen Vermögens im Einzelfall nicht unterhaltsberechtigt war.
Pflege gezielt „gestalten“
Oft wird es sich anbieten, bereits zu Lebzeiten ein Gegenleistungsverhältnis zu vereinbaren, bei dem die Geldleistung des Erblassers erst nach dem Tode zu erbringen ist, oder Pflege- bzw. Unterhaltsleistungen schon zu Lebzeiten angemessen auszuglei-chen, weil es in diesen Fällen insoweit gar nicht zu einer Steuerpflicht kommt. Wird nämlich die Zuwendung von den Beteiligten als Gegenleistung angesehen, fehlt es an der „Bereicherung“ bzw. dem „Bereicherungswillen“, sodass keine „Schenkung“ vorliegt.
Hinweis: Womöglich unterliegt das Entgelt für die Pflege dann aber der Einkommensteuer.
1) Vgl. § 13 Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe a Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz.
2) Vgl. § 13 Absatz 1 Nr. 9 Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz.
3) Vgl. Landesamt für Steuern Bayern, Erlass vom 8. April 2014, Aktenzeichen S 3812.1.1 – 1/15 St 34.
4) Vgl. Urteil vom 10. Mai 2017, Aktenzeichen II R 37/15.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2017; 42(16):18-18