Prof. Dr. Reinhard Herzog
Die Umsätze steigen, die prozentualen Margen und Renditen sinken. Man muss also ein immer größeres Rad drehen. Das frühere Modell – Expansion um fast jeden Preis durch Filialisierung – ist an Grenzen gelangt. Gerade Filialen erfordern steigende Schwellenerträge. Die sinnvollste Expansion besteht also darin, den Umsatz im eigenen Haus zu stärken und sich nicht zu verzetteln. Prinzipiell bieten sich folgende Optionen an, um seinen Markt im Einzugsbereich proaktiv zu „ordnen“:
- „klassische“ Übernahme als dauerhafte Filiale,
- temporäre Übernahme mit dem Ziel der Umsatzverlagerung und Schließung,
- mittels „Schließungsprämie“ und weiterer Angebote die Konkurrenz gutmütig „tilgen“,
- den Konkurrenzstandort im gegenseitigen Einvernehmen mit Vertrauten oder „friedlichen“ Kollegen nachbesetzen, ohne selbst ins Obligo der Filialübernahme zu gehen – die „Platzhalter-Strategie“,
- die friedliche Koexistenz auf Zeit als „Anbahnung“, mit dem Ziel einer späteren Übernahme bzw. Schließung.
Strategische Überlegungen
Übernahmen, ob langfristig oder auf überschaubare Zeit, bedeuten neben dem Kaufpreis den Einstieg in fast alle Verträge, insbesondere hinsichtlich Personal, Mietverhältnis sowie Wartungs- und Leasingverträgen (EDV und Kommissionierer als wichtigste Posten). Das impliziert bereits einen gewissen Mindestrohertrag ab etwa 400.000 €. Die Abwicklung nach einiger Zeit unter eigener Regie hat ebenfalls ihre Tücken. Für eine kleine Apotheke unter etwa 1,5 Mio. Euro Umsatz lässt sich dieses „echte“ Übernahmemodell kaum wirtschaftlich darstellen. Dennoch würde man gerne den Umsatz vereinnahmen.
Neben schlichtem Abwarten – irgendwann kommt die Aufgabe solch schwacher Standorte oft von allein – ist hier das Modell der „Schließungsprämie“ sinnvoll. Die entscheidende Frage ist jedoch, wie viel Umsatz dann in die eigene Apotheke wandert, und was sich andernorts verflüchtigt. Die Antwort liegt vor Ort:
- Welche Apotheken liegen in welcher strategischen Lage im Einzugsbereich?
- Käme dann gar ein gemeinschaftliches Angebot infrage (praktisch ist das leider meist ein sehr schwieriges Unterfangen)?
- Wie verteilen sich Ärzte, Frequenzbringer etc.?
- Wie sehen die Entfernungen, die Lauf- und Fahrwege sowie die Erreichbarkeit aller Marktbeteiligten aus?
- Wie sieht die Kundenstruktur aus, wie hoch ist die Bindung an die einzelnen Apotheken?
- Welche Maßnahmen zur aktiven Kundenlenkung sind, im Zusammenwirken mit dem Altinhaber, denkbar?
Vor allem Letzteres macht den Charme der „freundlichen Kaperung“ aus. Diese beinhaltet die einmalige Chance, die Kunden mit aktiver Unterstützung des Altinhabers in die eigene Apotheke umzulenken. Somit kann es Sinn ergeben, dass dieser noch für einige Zeit in der übernehmenden Apotheke tätig wird. Auch die Übernahme kundenaffiner Mitarbeiter aus der Altapotheke dient dem Ziel der Kundenlenkung. Der Lohn des Altinhabers (z.B. als 450-€-Job) kann insoweit ein integraler Bestandteil des Vergütungspaketes sein. Mit einer solch klugen Strategie kann es gelingen, den überwiegenden Teil der Kundschaft trotz mehrerer hundert Meter Distanz umzuleiten.
Hemmschuhe
Erfahrungsgemäß stellen die folgenden Punkte gefährliche „Showstopper“ auf dem Weg zur freundlichen Abwicklung dar:
- Kommunikative Barrieren rangieren regelhaft ganz oben („Mit dem rede ich niemals!“).
- Langlaufende und nicht vorzeitig kündbare Verträge (Mietvertrag; finanziell überschaubarer sind EDV-, Kommissionierer-Verträge); da ist Verhandlungsgeschick oder auch eine fundierte Rechtsberatung gefragt.
- Das Dauerthema Personal: Welche Mitarbeiter können/sollten im Hinblick auf die Altkundenbindung übernommen werden? Spielen diese Mitarbeiter überhaupt mit? Was kommt auf den Altinhaber zu?
- Beim Altinhaber können steuerliche Aspekte das Modell enorm beeinträchtigen. Beispiele: die Hebung stiller Reserven, z.B. bei eigenen Räumlichkeiten im Betriebsvermögen, oder auch das Thema Freibetrag bei der Betriebsaufgabe.
- Altschulden und sonstige laufende finanzielle Verpflichtungen des Altinhabers können einen vorzeitigen Ausstieg sehr erschweren.
Am Ende müssen das gesamte Lagebild aufgehellt und für jede Seite eine eigene Bilanz sowie die Optionen und Alternativen erarbeitet werden. Selbst höhere „Schließungsprämien“ können sich in Anbetracht der dargestellten Punkte rasch zerstreuen.
Beispielfall
In 200 m Entfernung zur starken Raben-Apotheke erwirtschaftet die kleine Spatzen-Apotheke 1,1 Mio. € Umsatz bei 260.000 € Rohertrag. Was soll der „Rabe“ tun?
1. Risiko-, Situations- und Standortanalyse: Wie sieht die Lage der Spatzen-Apotheke aus? Ist der Inhaber abgabebereit (u.a. Altersfrage)? Könnte die Apotheke einen fremden Interessenten finden? Welches Standortpotenzial hätte sie?
2. Wie viel Ertrag ließe sich bei einer „freundlichen Kaperung“ in die Raben-Apotheke umlenken (Frage der Entfernungen, der Standortgegebenheiten und der Übergabe-Gestaltung)? Wer würde von einer Aufgabe noch profitieren (ohne zu zahlen)?
3. Alternative Abwarten: Jedes Jahr kostet dann den errechneten entgangenen Ertrag.
4. Die „harte Tour“: Plattmachen durch aggressives Marketing etc. Das kostet ebenfalls, der Erfolg ist nicht sicher, Ärger schon.
5. Somit bleibt das Modell „Schließungsprämie“.
Ein Angebot kann dann umfassen (s. Tabelle 1):
- großzügige Übernahme von Warenlager und ggf. brauchbaren Gegenstände,
- Klärung der Personalfragen (Von wem trennt sich noch der Altinhaber? Wer soll übernommen werden? Für den Zusatzumsatz wird auch mehr Personal benötigt),
- die eigentliche Prämie für die Betriebsaufgabe, idealerweise unterteilt in einen Fest- und einen Zusatzbetrag, je nachdem, wie viel Ertrag tatsächlich in die Raben-Apotheke übergewechselt ist,
- als Zugabe je nach persönlichen Gegebenheiten und Sym- bzw. Antipathien ggf. eine Weiterbeschäftigung in der Raben-Apotheke,
- ein großzügiges Unterstützungspaket bei der operativen Abwicklung (das ist oft ein Problem für die Altinhaber),
- im Gegenzug die Versicherung, dass das Thema Apotheke an diesem Standort damit abgeschlossen ist.
Klug und ohne Vorbehalte angegangen, kann dies im Einzelfall der Königsweg zum langfristig gesicherten Standort sein!
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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(05):4-4