Prof. Dr. Reinhard Herzog
Hierzulande eher wenig beachtet wurde die neue Allianz des Finanzgiganten JP Morgan, dem Versand- und Technologieriesen Amazon und dem weitverzweigten Kapitalanlage-Fonds Berkshire Hathaway des US-Milliardärs Warren Buffet. Das Ziel: Vorerst für die 1,1 Mio. eigenen Beschäftigten in den USA eine eigene Krankenversicherung aus der Taufe zu heben, welche die Kostenexplosion im Griff behält und trotzdem (oder gerade deshalb) die innovativsten Therapien ermöglicht.
Zum Hintergrund muss man wissen, dass das US-Gesundheitssystem das mit Abstand teuerste der Welt ist, mit Kosten von deutlich über 3 Billionen US-$, entsprechend über 10.000 US-$ pro Kopf der Bevölkerung oder rund 17% des Bruttoinlandsproduktes. 40% der Weltgesundheitsausgaben werden in den USA getätigt – für gut 4% der Weltbevölkerung. Regelhaft wachsen dort die Gesundheitsausgaben stärker als die Wirtschaftsleistung und erst recht als die Löhne. Die Bevölkerung bzw. die Firmen (in den USA werden viele Krankenversicherungen im Wesentlichen von den Arbeitgebern getragen) ächzen unter explodierenden Versicherungsprämien, der Reformdruck steigt. Hierzulande enteilen die Gesundheitsausgaben der sie finanzierenden Ökonomie weit weniger, der Anteil an der Wirtschaftskraft ist seit Jahren ziemlich stabil (er liegt nämlich bei gut 11%, die GKV allein macht rund 7% aus). Trotzdem werden insbesondere die Hochkostentherapien und Innovationen auch hier immer mehr zum wirtschaftlichen Risikofaktor.
Was ist nun an der oben erwähnten Firmenallianz so bemerkenswert, dass sie uns in Deutschland interessieren sollte?
Die drei Firmen verfügen nicht nur über viel „Spielgeld“, sondern sind in der Wirtschaft bestens vernetzt bzw. über Beteiligungen engagiert, ob in High-Tech- oder in konventionelle Industrien. Mit Amazon ist ein technikaffiner Partner an Bord, der nicht nur Logistik gepaart mit kompromissloser Kundenorientierung beherrscht, sondern auf dem Sprung ist, in das Pharmageschäft einzusteigen.
Das bietet Chancen, das Thema Gesundheit in vielen Teilen neu zu denken: erfolgs- und patientenorientiert, dabei gleichzeitig kosteneffizient. Big Data wird dabei eine zentrale Rolle spielen, möglicherweise in Orwell‘schen Dimensionen. Interessierte sollten einmal nach den Watson Cognitive Healthcare Solutions der Firma IBM googeln.
Irgendwann wird der „Gesundheitspfad“ und Lebenszyklus eines Menschen ein berechenbares, bioinformatisches Datenmodell. Unser hochgelobtes Medikationsmanagement ist da übrigens eine vergleichsweise einfache Herausforderung. Gleichzeitig verschieben sich die Wertschöpfungsketten völlig, wie es auch für die Autoindustrie und andere „klassische Industrien“ vorhergesagt wird: Die „Hardware“ zählt immer weniger, dafür die (zumindest teilweise künstliche) „Intelligenz“, basierend auf einer heute noch mental schwer fassbaren Datengrundlage. Einfachere, persönliche Dienstleistungen werden dem ebenfalls zum Opfer fallen. Apotheken sollten gewarnt sein.
Wer nun meint, er könne diesen Entwicklungen mit „bewährter“ Abschottung begegnen, assistiert von selbstgeschaffenem Bürokratie-Irrsinn, dem IT-Showstopper Datenschutz und willfährigen Politikern aus der Gestrigen-Fraktion, der gestaltet nicht seine Zukunft, sondern verspielt sie – und gewinnt bestenfalls etwas Zeit. Das mag für den Augenblick eine willkommene Entlastung bedeuten, der Abstand zur Weltspitze vergrößert sich jedoch nur weiter.
Schon heute gehören wir international eher zu den „digitalen Entwicklungsländern“. Viele Zeitgenossen sind darauf noch stolz, so wie heute gerne in der Öffentlichkeit mit mangelnden naturwissenschaftlichen und mathematischen Kenntnissen kokettiert wird.
Den Patienten stehen dagegen eher gute Zeiten bevor, mit therapeutischen und frühdiagnostischen Optionen, die bislang als Science Fiction galten. Etliche Teile der Gesundheitsbranche werden jedoch unter Druck geraten. Das kann auf Dauer auch eine gut geölte Lobbymaschine nicht verhindern. Je früher wir das erkennen und daraus zukunftsgestaltende und weniger nur auf Absicherung bedachte Schlüsse ziehen, umso besser ist es für alle.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(06):19-19