Prof. Dr. Reinhard Herzog
Wir möchten Ansätze zeigen, die noch eher wenig Eingang in die Apothekenpraxis gefunden haben. Im Mittelpunkt sollen sogenannte Multiplikator- und Bündelungseffekte auf der Kundenebene stehen (Abb. 1): Welche Kunden ziehen welche Kreise, wer ist als möglicher Träger der Markenbotschaft Ihrer Apotheke wichtig, wer weniger? Wer kann besonders nützlich sein? Wer vereinigt die Top-Umsätze auf sich?
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Pro Kopf der Bevölkerung realisieren die Apotheken netto um 540 € typischen Offizinumsatz, wenn man den statistischen Wert von mittlerweile rund 630 € um Versand- und Spezialumsätze (Parenteralia) sowie Heimumsätze bereinigt.
Andererseits vereinigt der durchschnittliche Apothekenkunde deutlich höhere Umsätze als die erwähnten 540 € auf sich. Nicht alle Bürger sind im Laufe eines Jahres krank bzw. bedürfen eines Apothekenbesuchs (sondern nur etwa 80%), und Teile der Bevölkerung (Kinder, erwähnte Pflegebedürftige) scheiden als klassische „Vor-Ort-Besuchs-Kunden“ in der Offizin aus. Eingeengt auf die Kundenklasse „über 15 Jahre und nicht pflegebedürftig“ (=etwa 83% der Bevölkerung) lassen sich so bereits gut 800 € pro durchschnittlichem Kunden hochrechnen.
Betrachtet man noch die Bündelungseffekte (=die Tatsache, dass insbesondere die Damen als Familieneinkäufer den weit überwiegenden Teil der Apothekeneinkäufe tätigen), dann spielt beispielsweise die Frau eines typischen Vier-Personen-Haushaltes mit zwei schulpflichtigen Kindern um 1.000 € Umsatz ein (Verordnungen und OTC). Bei einem Seniorenpaar Ende 70 mit der Frau als Einkäuferin ist es rund das Doppelte. In Roherträgen ausgedrückt macht das 250 € bis 300 € für die Mutter mit zwei Kindern und rund 500 € für die betagtere Dame, die überwiegend für ihren Mann mit einkauft. Das sind schon beachtliche Werte, die zeigen, was ein Stammkunde wert ist.
Top-Kunden identifizieren
Diese Durchschnittswerte fallen über die Kunden hinweg jedoch ganz erheblich auseinander. Stellt man nämlich die Frage, welcher Anteil an Kunden welche Verordnungen benötigt („Lorenz-Verteilung“), dann stehen knapp 3% der Kunden (oder 90 je Apotheke im Schnitt) für die Hälfte der Verordnungsumsätze in Höhe von 10.000 € netto pro Kopf. Ein Prozent der Kunden (=absolut etwa 30) vereinigt bereits gut ein Drittel des Verschreibungsumsatzes auf sich (in Höhe von netto 20.000 € pro Kopf!). Daher der erste Rat: Top-Kunden-Analyse! Sie werden staunen, mit wie wenig Kunden (die man entsprechend intensiv betreuen kann) Sie welche Umsätze und am Ende auch Erträge erwirtschaften!
Auf dieser Basis soll es aber nun um die Multiplikator- und Bündelungseffekte gehen. Den ersten Vertreter haben wir schon gesehen: Den Familienvorstand oder immer noch mehrheitlich die „Familienvorständin“ im Hinblick auf die täglichen Einkäufe. Diesen Gedanken können Sie – insbesondere in gewachsenen Strukturen, weniger im hippen, fluktuierenden Szeneviertel – weiterführen: Familien haben Verwandte, auch heute noch durchaus am Ort. Was tun Sie, um hier die Kreise größer zu ziehen, sei es mit einer „Familienkarte“, sei es bereits nur durch eine gezielte Ansprache?
Der Begriff „Familienclan“ ist zwar nicht nur positiv besetzt. Unter reinen Marketinggesichtspunkten gibt es aber nichts Besseres als einen großen Clan mit einer oder wenigen starken Führungsfiguren an der Spitze. Das bietet nämlich den Ansatzpunkt, „Haus- und Hof-Lieferant“ für eben einen ganzen, teils beachtlich weitverzweigten Familienverbund zu werden. Der Ehrlichkeit halber sei erwähnt, dass insbesondere in Großstädten bereits einige Apotheken diese Funktion ausfüllen und so bisweilen erstaunliche Umsätze generieren, die man von außen nicht erwarten würde.
„Spinnen im Netz“
Neben Familienvorständen und „Clanführern“ gibt es jedoch aus dem Kreis der (potenziellen) Kunden viele weitere Schlüsselpersonen, die Ihnen sehr nutzen oder auch schaden können. Denken Sie einmal an:
- Ladeninhaber in der Nachbarschaft. Hier kann man zu gegenseitigem Nutzen tätig werden – ob bei der Werbung, dem Auslegen von Flyern, der Ausgabe von Kundengutscheinen, die gegenseitig eingelöst werden, bei gemeinsamen Aktionen, Straßenfesten und manchem mehr.
- Inhabergeführte Familienbetriebe (auch wenn diese auf dem Rückzug sind) aus dem sonstigen gewerblichen Bereich, ob Fabrik, Handwerksbetrieb oder größerer Dienstleister: Kennen Sie alle in Ihrem Einzugsgebiet? Kennen Sie die Inhaber persönlich? Und falls nicht, warum eigentlich nicht? Auch hier können Sie trefflich „netzwerken“ und nebenbei Umsätze generieren: Denken Sie nur an die Beschäftigten. Haben Sie die Sympathie und das Plazet der Firmeninhaber gewonnen, läuft vieles wie am Schnürchen.
- Hausmeister und Verwalter insbesondere von großen Wohneinheiten sind ebenfalls eine interessante Zielgruppe. So haben diese Leute eine gute Kenntnis der Bewohner, wissen eine ganze Menge über das, was so passiert, und sind Zusatzverdiensten sowie kleineren Handreichungen gegenüber meist nicht abgeneigt.
- Vereine können ein hochinteressanter Zugang sein – gern vermittelt über typische „Vereinsnudeln“, die oftmals in vielen Vereinen tätig sind. Solche Personen können außerordentlich bedeutsame, positive „Zugkräfte“ in Ihre Apotheke haben.
- Selbsthilfegruppen sind ein bekanntes Feld. Nur: Systematisch werden auch diese vielfach noch nicht erschlossen.
Aus den Indikationen und den zugeordneten Personen lassen sich ebenfalls „Streukreise“ erstellen, vor allem bei selteneren und teuren Krankheiten. Meist kennen diese Patienten etliche andere Betroffene im Umfeld – und können so als wichtige Multiplikatoren wirken. Das müssen Sie aber erst einmal aktiv anstoßen; von sich aus werden die meisten Kunden nämlich keine Initiative ergreifen.
Überlegen Sie aber immer vorher, welche Vorteile Ihr Gegenüber hat: Nur Geschäfte mit gegenseitigem Nutzen erweisen sich auf Dauer als stabil! An dieser Stelle haben wir übrigens die Gesundheitsberufe als an und für sich ja naheliegende Multiplikatoren ausdrücklich ausgeklammert. Denn das ist noch einmal ein ganz anderes Thema.
Wagen Sie ein paar Experimente, und forcieren Sie die gezielte Ansprache von Schlüsselpersonen „aus der Mitte des Lebens“. Im Idealfall gelingt Ihnen die Königsdisziplin: Zufriedene Kunden werben für Sie viele weitere Kunden!
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(06):4-4