Helmut Lehr
Aufgrund des langanhaltenden Niedrig- und teilweise auch Nullzinsniveaus sind viele namhafte Steuerexperten der Auffassung, dass der Finanzamtszinssatz von 6% pro Jahr nicht mehr verfassungsgemäß ist. Das Problem der exorbitant hohen Nachzahlungszinsen trifft in erster Linie Unternehmer und Selbstständige, weil diese regelmäßig von der Betriebsprüfung heimgesucht werden. Bis die entsprechenden Änderungsbescheide in der Welt sind, liegt der Prüfungszeitraum meist schon mehrere Jahre zurück. Dementsprechend lange ist auch der Zinslauf, wodurch sich die Zinsbelastung zusätzlich verstärkt.
BFH: Steuerzinsen rechtens
Die Hoffnung, dass ein Gericht die hohen Nachzahlungszinsen als verfassungswidrig beurteilt (vgl. AWA 13/2016), hat sich zwischenzeitlich weitgehend zerschlagen: Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ausdrücklich entschieden, dass die Höhe der Nachforderungszinsen von 6% pro Jahr weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das sogenannte „Übermaßverbot“ verstößt (Urteil vom 09.11.2017, Aktenzeichen: IIIR 10/16). Sie sei auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Zinsniveauentwicklung im betroffenen Jahr 2013 verfassungsgemäß.
Die Richter haben auf der Grundlage von Daten der Deutschen Bundesbank Zinssätze für verschiedene kurz- und langfristige Einlagen und Kredite untersucht. Diese lagen für 2013 zwischen 0,15% und 14,70%. Obwohl der Leitzins der Europäischen Zentralbank bereits seit 2011 unter 1% gelegen hatte, wollte der BFH deshalb nicht davon ausgehen, dass, so die Richter wörtlich, „der gesetzliche Zinssatz die Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte verlassen hat.“
Für viele Unternehmer dürfte dies wie blanker Hohn klingen, zumal der genannte „Spitzenzinssatz“ von 14,70% die maximale Kondition für Kreditkartenkredite an private Haushalte darstellt.
Als Unternehmer müssen Sie sich also bis auf Weiteres mit der drohenden Zinsbelastung arrangieren. Weitere Klagen erscheinen wenig erfolgversprechend, wenngleich nur das Bundesverfassungsgericht abschließend entscheiden kann, ob eine Vorschrift verfassungsgemäß oder verfassungswidrig ist.
Die finanzielle Belastung mit Nachzahlungszinsen wird im nachfolgenden, vereinfachten Beispiel nochmals verdeutlicht. Dabei ist zu beachten, dass der Zinslauf erst nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres und einer 15-monatigen Karenzzeit beginnt.
Beispiel
Die Betriebsprüfung bei Apotheker Grundmann für die Jahre 2013 bis 2015 führt zu einer Einkommensteuernachzahlung von ingesamt 45.000 € (Tabelle 1). Die Prüfung begann im Herbst 2016 und wurde erst Ende 2017 abgeschlossen. Die Änderungsbescheide hat das Finanzamt Ende März 2018 verschickt (Ende des Zinslaufs).
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Hinweis: Die Berechnung zeigt, dass Herr Grundmann zusätzlich mit 6.000 € Zinsen belastet wird, die nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig sind (vgl. §12 Nr.3 Einkommensteuergesetz). Hinzu kommen gegebenenfalls noch weitere Nachzahlungszinsen zur Gewerbesteuerfestsetzung der zuständigen Kommune.
Freiwillig vorab zahlen?
Da sich die Zinsfestsetzung aufgrund des BFH-Urteils wohl nicht mehr erfolgreich anfechten lässt, könnten Sie in vergleichbaren Fällen versuchen, eine drohende Zinsbelastung durch eine frühzeitige (freiwillige) Vorabzahlung abzumildern. Zwar wird die Finanzverwaltung die Nachzahlungszinsen auch bei einer freiwilligen Zahlung vor Erlass des Änderungsbescheids zunächst in der gesetzlich vorgesehenen Höhe festsetzen. Allerdings „muss“ sie in einem nächsten Schritt die auf die freiwillige Vorabzahlung entfallenden Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen erlassen (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung, zu §233a, Ziff. 70.1.1.).
Weil sich insbesondere im Rahmen einer Betriebsprüfung Steuernachzahlungen oft schon frühzeitig andeuten, sollten Sie bereits während der Prüfung mit Ihrem Steuerberater klären, ob und in welcher Höhe eine freiwillige Vorabzahlung der zu erwartenden Steuernachforderung Sinn ergibt.
Beachten Sie aber: Eine deutlich überhöhte freiwillige Zahlung mit dem Ziel, später von der Finanzverwaltung Erstattungszinsen (in Höhe von 6%) zu kassieren, bringt leider nicht den gewünschten Erfolg – hier verweigert sich das Finanzamt.
Hinweis: Sie haben natürlich trotz der frühzeitigen Zahlung die Möglichkeit, belastende Steuerbescheide mittels Einspruch anzufechten: Denn auch wenn Sie zahlen, erkennen Sie damit die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung noch nicht an.
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(07):16-16