Von der einfachen App zu innovativen digitalen Versorgungslösungen

Neue Strategien für die Apotheke vor Ort


Alexander Schachinger

Begrenzter Nutzen und überschaubare Downloadzahlen: Sind Apps die einzig denkbaren digitalen Services für Apotheken vor Ort? Oder gibt es weitere Lösungen mit eventuell mehr Potenzial? Marktbeobachtungen und Forschungsergebnisse zeigen neue Wege auf.

Im Jahr 2017 nutzten an die 90% aller Deutschen über 14 Jahren „mindestens einmal innerhalb der letzten zwei Wochen“ das Internet, und circa 65 % der Bürger besaßen ein Smartphone [1]. Zirka 70% dieser „Onliner“ informieren sich über das Internet und Apps zu den Themen „Krankheit“ und „Gesundheit“ – mit diversen Auswirkungen auf den Gesundheitsmarkt: Wissen, Einstellungen und Entscheidungen (z.B. für oder gegen ein bestimmtes Therapieregime) werden dabei beeinflusst [2].

Die digitalen Mittel der Wahl einer inhabergeführten Vor-Ort-Apotheke sind auch heute noch in der Regel eine eigene Webseite (mit oder ohne Online-Shop-Funktion), Social-Media-Aktivitäten (z.B. eine Facebook-Seite) oder auch eine App für die eigene Apotheke. Sinn und Zweck ist es, klassische Werbung anzubieten, die Bekanntheit zu erhöhen und somit über einen Service- und Kundenbindungsansatz zu verfügen.

Die überwiegende Zahl der Apps einzelner Apotheken in Deutschland stammt von Drittanbietern, die personalisierbare Lösungen offerieren. Die üblichen Funktionen solcher Apotheken-Apps umfassen z.B.:

  • Standortinformationen,
  • Produkt-/Medikamentensuche,
  • Beipackzettel,
  • Möglichkeit zur Vorbestellung (auch mit Rezeptscan),
  • Informationsmöglichkeiten zu Medikamenten und Fachbegriffen sowie
  • weitere Services wie Notfallapothekensuche o.Ä.

Eine grobe Analyse von 45 verschiedenen, in deutschen Vor-Ort-Apotheken verwendeten Apps zeigt, dass diese durchschnittlich 38 Mal im App-Store heruntergeladen wurden (Ergebnisstreuung: 1 bis 500) [3]. Inwieweit sich eine entsprechende Investition für eine Apotheke lohnt, muss jeder Inhaber selbst entscheiden. Es zeigt sich aber, dass Kunden, die die Apotheke als „regelmäßigen Einkaufsort für rezeptfreie Arzneimittel“ angeben, ihr Smartphone seltener als durchschnittliche deutsche Bürger über 14 Jahren nutzen (46% versus 60%) [4].

Das „Zwei-Welten-Dilemma“

Dennoch ist ein verstärktes Bewusstsein für neue Formen von digitalen Services kombiniert mit dem Point-of-Sale (POS) einer Apotheke vor Ort wichtig: In Deutschland stehen wir nämlich vor dem grundlegenden „Zwei-Welten-Dilemma“ digitaler Gesundheitsanwendungen: Auf der einen Seite haben wir das bisher für den Patienten so gut wie komplett analoge Gesundheitssystem. Auf der anderen Seite finden die Patienten im Internet über 5.000 deutschsprachige Webseiten und Apps zu den Themen „Krankheit“ und „Gesundheit“. Diese beiden Welten sind bisher so gut wie nicht verbunden. Dabei zeigen global wie national alle Evaluationen, dass Patienten gerne eine digitale Orientierung bzw. Empfehlung von ihrem medizinischen Fachpersonal haben möchten – und nicht von Google oder den App-Stores [5]. Und welche „medizinische Versorgungsstruktur“ ist besser erreichbar als die Apotheke vor Ort?

Der folgende, nicht vollständige Überblick soll exemplarisch zeigen, welche neuen Lösungen derzeit auf dem digitalen Gesundheitsmarkt für die Apotheke vor Ort entstehen.

Bonuskarte als App

Für die Mehrheit der Smartphonenutzer mag eine App der (Stamm-)Apotheke vor Ort einen auf Dauer geringen Nutzen haben. WhatsApp, Facebook oder Foto- bzw. Musik-Apps etc. bieten einen (messbar) höheren Mehrwert – auch wenn der Vergleich nicht immer fair ist. Allerdings zeigen monetäre Anreize bei Kunden – gerade in Deutschland – eine gute Wirkung: Die Bonus- bzw. Prämienkarte ist im Groß- wie auch im Einzelhandel bekannt und verbreitet. So verwenden auch z.B. Apothekenkooperationen häufig Bonuskarten mit diversen Anreizen für die individuelle Apotheke – teils auch gemeinsam mit anderen Einkaufsstätten (etwa via Payback). Es wäre also nur konsequent, die üblichen Apotheken-Apps (mit „lediglich“ Informationen oder Rezept-Scans für Stamm- oder Chronikerkunden) um eine Bonuskarten-Funktion zu ergänzen.

Services im Multimedia-Format

Als Weiterentwicklung der bisherigen App-Funktionen sind neue Services im Multimedia-Format zu verstehen, die über den Browser oder per App zugänglich sind. Meist bringen Drittanbieter Anwendungen dieser Art mit dem Logo der Apotheke auf den Markt. Dabei kann es sich „nur“ um einen reinen Service – also um eine Art Apothekenzeitschrift im Multimedia-Format – handeln. Gleichermaßen reichen solche Anwendungen über Erklärvideos (etwa zur Benutzung eines Blutzuckermessgerätes) bis hin zu klinisch geprüften Coaching-Programmen, die sich beispielsweise explizit an Diabetiker richten. Derartige Programme werden teils von Herstellern in Kooperation mit der Apotheke angeboten und als neue Versorgungslösungen manchmal sogar von den Kostenträgern erstattet.

Gesundheits-Startups beispielsweise bieten ihre Coaching- oder Diagnostik-Lösungen online auf dem freien Selbstzahlermarkt an. Theoretisch könnten diese digitalen Produkte – wie physische Produkte – im Regal verkauft werden. Zur Orientierung: Die Verkaufspreise von „Mental Health“-Online-Programmen etwa liegen in Deutschland zwischen 30 € und 250 €.

Plattformkooperationen

Folgendes Szenario ist für einige Selbstmedikationsprodukte in Deutschland schon Wirklichkeit: Ein potenzieller Kunde hat bei einem Spaziergang unerwartet eine allergische Reaktion. Er sucht auf dem Smartphone nach einem Arzneimittel und landet auf der Selbstmedikations-Produktwebseite eines Herstellers. Diese Seite bietet per GPS einen Standort- und Verfügbarkeitsservice für die Apotheken gleich in der Nähe an. Der Kunde wird somit durch orts- und themensensible Daten zur Apotheke geführt („Drive2POS“).

Derartige Kooperationsmodelle mit Plattformanbietern bilden sich derzeit verstärkt auf dem Markt. Sie belasten das (häufig von Streuverlusten betroffene) Werbebudget der Apotheke nicht. Vielmehr basieren sie auf einer Provisionsbasis.

Weil digitale Massenmedien und Marktplätze massiv an Bedeutung gewinnen, erscheint dieser Ansatz für Apotheker als eine stimmige Möglichkeit, um Services über den eigenen Standort hinaus anbieten zu können.

Ausblick: Ein Schweizer Modell

Eine Schweizer Krankenversicherung etablierte 2016 ein neues Grundversicherungsmodell zusammen mit Apotheken. Letztere beraten ihre Kunden zu einem gesunden Lebensstil, führen Vitaldatenmessungen durch und bieten bei Nachfrage Apps wie auch Wearables zum Kauf an. Die Beratungszeit des Apothekers wird durch die Krankenversicherung erstattet.

Fazit

Der Autor vermutet, dass die Apotheke vor Ort zunehmend an Relevanz gewinnen wird, da sie sich durch ihre physische Nähe und die pharmazeutische Beratungskompetenz auszeichnet. Hierdurch hat sie auch die Möglichkeit, digitale Produkte und Versorgungslösungen zu vertreiben, die sie ihren Kunden gleichermaßen erläutern kann. Damit lässt sich überdies ein weiteres Problem angehen: Die immer noch hohen Abbruchraten bei der Nutzung von Apps, Wearables und Coaching-Programmen. Diese Raten nämlich lassen sich messbar reduzieren, wenn Fachpersonal die Patienten betreut und ihnen derartige digitale Lösungen erklärt [6].

Literatur

[1] EPatient RSD GmbH (Hrsg.). Digitaler Gesundheitsmarkt: Basisdaten 2017
[2] z.B. Ergebnisse des 6. EPatient Survey 2017, www.epatient-survey.de
[3] Schachinger A. et al.: Ad-Hoc-Analyse 2018 (unveröffentlicht)
[4] Schachinger A. et al.: Auszählung der Studie „Best4Planning 2017“ (unveröffentlicht)
[5] Eindrücke aus dem internationalen Forschungsstand z.B. unter jmir.org.
[6] Talbom-Kamp E.P. et al., J Med Internet Res 2017, 19 (5):e185

Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer, EPatient RSD GmbH, 10783 Berlin, E-Mail: kontakt@epatient-rsd.com

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2018; 43(09):10-10