Emanuel Winklhofer
Die Pandemie hat im Umgang miteinander viel verändert. Besonders in Apotheken ist eine erhöhte emotionale Belastung aller Teammitglieder – inklusive Apothekenleiter – entstanden. Viele Teams mussten aufgeteilt werden, um im Krankheitsfall die Handlungsfähigkeit der Apotheke sicherzustellen. Hierbei lernten manche Teammitglieder neue Mitarbeiterinnen aus dem Parallelteam über Monate hinweg gar nicht kennen. Die Hygienemaßnahmen mit Abstand- und Maskenpflicht erschwerten das gemeinsame Arbeiten zusätzlich. Genervte, ungehaltene Kunden sowie der steigende Arbeitsdruck führten zu Gereiztheit, und so befeuerten unqualifizierte Bemerkungen untereinander und gegenseitige Sticheleien den Abwärtsstrudel der emotionalen Stimmungslage. Der allgemeine Umgangston wurde rauer und knapper.
Raus aus der beklemmenden Enge der Angst
Vor diesem Dilemma stehen wir nun und haben die Aufgabe, sehr bewusst eine neue Teamkultur zu schaffen:
- Wir sollten dankbar erkennen, dass die Apotheken während der gesamten Pandemie systemrelevant waren und wir die Chance hatten, Geld zu verdienen. Viele andere Menschen hatten diese Möglichkeit nicht und wurden dadurch schnell an den Rand ihrer Existenz gebracht.
- Weiterhin sollten wir uns schnell aus der Schockstarre der derzeit herrschenden Angstneurose befreien, denn Angst ist das Schlimmste was uns passieren kann. Aus der Neuroimmunologie wissen wir schon lange, dass sie eine deutliche Immunsuppression verursacht. Hierbei ist der Auslöser vollkommen nebensächlich – es kann Angst vor Corona ebenso sein wie vor der Impfung, wirtschaftlicher Depression, Verlust des Arbeitsplatzes und vieles mehr. "Angst" kommt aus dem Lateinischen "angustus" und heißt eng. Wenn wir Angst haben, ziehen wir uns zusammen, machen uns eng und haben nur eine begrenzte Sichtweite. Deshalb brauchen wir einen veränderten Blickwinkel, um mit Mut und Energie nach vorne zu gehen!
Auch die Beleidigungskultur der sozialen Medien, die wir täglich miterleben, trägt nicht dazu bei, die allgemeine Stimmungslage auch nur im Geringsten zu verbessern. Wer sich permanent mit dieser häufig stark abwertenden Kommunikation beschäftigt, hat die Spielregel des Resonanzgesetzes nicht verstanden.
Solange wir immer noch die Sündenbock-Thematik pflegen und Schuld verteilen, sind wir in der Projektion, und diese ist genau das Gegenteil von Eigenverantwortung, zu der wir unbedingt finden sollten.
Der Soziologe Aaron Antonovsky spricht von "Salutogenese" und meint damit – im Gegensatz zur Pathogenese – das multidimensionale Geschehen, das zu einem "Wohl-Stand" auf allen Ebenen der Gesundheit führt. Dazu brauchen wir das Verständnis für die Zusammenhänge im Leben, die Überzeugung, dass wir unser eigenes Leben gestalten können und das Bewusstsein der Sinnhaftigkeit des Lebens.
Rituale statt Routine
Die derzeitige Situation ist eine ganz besondere Herausforderung für uns alle, in der es nicht um Angst oder Beschuldigungen geht, sondern darum, ein gemeinsames Mit- und Wir-Gefühl zu entwickeln. Gehen wir also in unseren Teams und Gemeinschaften wieder mit mehr Respekt und Wertschätzung füreinander um. Dazu allerdings einfach nur zu nicken, reicht natürlich nicht! Wir müssen uns dafür jeden Tag wieder neu entscheiden und daran arbeiten. Niemand macht in einem Team absichtlich etwas falsch. Vielmehr handelt jeder so, dass es aus seiner Sicht richtig und stimmig ist. Besteht nun ein Unterschied zwischen Erwartungshaltung und Realität, brauchen wir ein helfendes Gespräch und keine Vorwürfe. Es gilt immer der Satz: "Vorwürfe sind zu spät geäußerte Wünsche".
Wollen wir Verhalten verändern, besteht stets die Gefahr, wieder in alte Muster zurückzufallen. Wer hat nicht schon probiert, seine Essgewohnheiten, sportliche Aktivitäten oder sonstiges Verhalten zum Positiven zu verändern? Es mag wohl eine Weile funktionieren, doch plötzlich – ehe man sich versieht – hängt man wieder im alten Muster fest. Deshalb brauchen wir Rituale statt Routine.
Routine kann uns helfen, vieles durch Training und Erfahrung ohne großen Aufwand zu erledigen. Sie stellt aber auch eine Gefahr dar: In der Routine wird die Bewusstheit vergessen. Reine Routine macht aus einem Beruf einen Job. Wir sollten uns immer wieder fragen: Ist das, was ich tue, immer noch meine Berufung – nämlich das, wozu mich das Leben ruft? Menschen, die eine positive Einstellung zu ihrem Beruf haben, besitzen automatisch eine positive Ausstrahlung. Sie können andere begeistern und mitreißen.
Denken wir in diesem Zusammenhang an den Enthusiasmus und das Engagement von Künstlern, die oft Tage und Nächte am Stück an ihrer Arbeit sitzen, an Erfinder, die geistig zu 100% in ihrer Idee leben und Visionen für die Zukunft entwickeln. Ein Erfinder sagte einmal: "Man muss besessen sein, um etwas zu schaffen". Arbeit sollte nicht zwangsläufig mit Kämpfen verbunden sein, sonst stimmt die Einstellung nicht. Welche Qualität wird das Ergebnis unserer Arbeit haben, wenn wir statt mit Freude und Motivation mit Widerwillen und Frust darangehen?
Routine im Team-Umgang kann schnell zu einem bedeutungslosen Nebeneinander werden, und wir erkennen nicht mehr den Wert unserer Mitmenschen, sondern nur noch die Arbeitsleistung. Irgendwann sind wir ausschließlich auf deren Fehler fixiert. Besteht eine Partnerschaft nur noch aus Routine, dann ist die Lebendigkeit wohl schon lange dahin. Deshalb ist es so wichtig, aus der Routine auszusteigen, um wieder zu gemeinsamen Ritualen zu kommen – aus der Unbewusstheit und Langeweile in die Bewusstheit und Freude miteinander.
Jammern als Zeichengeistiger Windstille
Beruf oder Berufung? Ein Beispiel aus dem Fernen Osten
Ein buddhistischer Mönch hatte seit 30 Jahren die Aufgabe, täglich den Hof zu fegen. Obwohl er dieses Amt schon so lange innehatte, fegte er jeden Tag mit einer fröhlichen Gelassenheit und tiefen Bewusstheit. Sein Ziel war es nicht, den unnötigen Schmutz zu entfernen, sondern den Hof nur für heute wieder im schönsten Glanz erstrahlen zu lassen. Er hatte jeden Tag aufs Neue wieder die Einstellung: "Heute muss ich meine Arbeit ganz besonders gut machen, denn es kommt heute hoher Besuch in unser Kloster". Und so wurde der Hof ein besonderer Ort der Kraft und der inneren Freude.
Wie schön wäre es, wenn auch wir – wie der buddhistische Mönch in der kleinen Anekdote – jeden Tag mit der Einstellung an unseren Beruf gehen könnten: "Heute kommt es wieder auf mich an, und heute muss ich mich ganz besonders für mich und andere einsetzen".
Wollen wir etwas verbessern, dann müssen wir unser Verhalten verändern. Denn mit dem gleichen Verhalten erzielen wir keine besseren Ergebnisse. Klar! Dazu brauchen wir Vorwärts-Denker und keine Rückwärts-Denker, wir brauchen Chancen-Denker und nicht Risiko-Denker. "Jammern ist ein Zeichen geistiger Windstille" und hat nur den Vorteil, dass Jammerer nicht allein sind, denn es gesellen sich schnell Gleichgesinnte dazu.
So wie bei jedem Krieg am Schluss wieder ein Frieden kommt, so müssen auch wir in unserem "Mikrokosmos Mensch" wieder Frieden mit uns selbst finden und Frieden in unserem Mikrokosmos Apotheke schaffen. Als Apothekenleiter tragen wir hierfür die Verantwortung: Wir sind Führungskräfte und Vorbilder. Wer Menschen beeinflussen will, hat zwei Möglichkeiten: Er kann sie manipulieren oder aber inspirieren. Lassen Sie uns zu unserer Aufgabe stehen und für unser Umfeld zu einer motivierenden und inspirierenden Kraft werden!
Emanuel Winklhofer, Apotheker, Agentur für Kommunikation, Seminare und Coaching, 93197 Zeitlarn, E-Mail: coaching@winklho.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(01):14-14