E-Rezept-Enthusiasten wollen Digitalisierung forcieren

Allein der guten Sache verpflichtet …?


Dr. Hubert Ortner

Ein neu gegründeter Verein – die E-Rezept-Enthusiasten – will die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorantreiben. Dass auch Versender wie die Shop-Apotheke und die Zur-Rose-Tochter eHealth-Tec zum Gründerkreis zählen, wirft einige Fragen auf.

Der Name ist Programm. „Wir wollen dem E-Rezept in Deutschland wieder eine Stimme geben“, sagte der erste Vorsitzende der E-Rezept-Enthusiasten, Ralf König, Mitte Mai, als der neue Verein sich erstmals der Branchenöffentlichkeit präsentierte. Zudem wolle man „Druck aufbauen und der elektronischen Verordnung Beine machen“. König ist selbst erfolgreicher Apotheker in Nürnberg und war bis Ende 2021 Mitglied im Berliner Health Innovation Hub: Für ihn wiegen die Chancen einer stärkeren Digitalisierung des Gesundheitswesens weit stärker als die Risiken – auch für Apotheker (siehe AWA 2/2022).

Ziel des Vereins ist es, möglichst viele Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Apotheken dafür zu gewinnen, anstelle der „rosa Scheine“ verstärkt E-Rezepte einzusetzen. Dr. Nicolas Kahl, Allgemeinmediziner und 2. Vorsitzender der E-Rezept-Enthusiasten, hat seine Praxis schon weitgehend auf elektronische Verschreibungen umgestellt und ist überzeugt: „Das Muster-16-Formular hat sich mittlerweile zu einem echten Störfaktor für unsere Praxisabläufe entwickelt.“ Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Verein auf Aufklärung und Förderung.

Zum einen soll durch eine gezielte Aufklärung erreicht werden, dass sich möglichst viele Arzt- und Apotheker-Paare zusammenfinden, die auf das E-Rezept umstellen und praktische Erfahrungen sammeln. Bislang sind es gerade mal zehn Arztpraxen, die eine nennenswerte Anzahl an E-Rezepten ausgestellt haben – angesichts von gut 100.000 Arztpraxen und jährlich 700 Mio. Verschreibungen hierzulande ein homöopathischer Wert. Die Praxiserfahrungen sollen zudem wissenschaftlich ausgewertet werden – von Prof. Dr. Steffen Hamm von der Oberbayerischen Technischen Hochschule Amberg-Weiden.

Zum anderen wollen die E-Rezept-Enthusiasten ein Förderprogramm auflegen, um Ärzten und Apothekern auch einen finanziellen Anreiz bieten zu können, wenn sie sich aktiv einklinken.

Schöne neue disruptive Welt

Etwas ins Nachdenken kommt man, wenn man sich genauer ansieht, wer alles zu den Gründungsmitgliedern der E-Rezept-Enthusiasten zählt. Neben IT-Software-Häusern wie Pharmatechnik, Noventi und CompuGroup sitzen auch Unternehmen mit im Boot, die bei stationären Apothekern sicher wenig Enthusiasmus auslösen: der niederländische Arzneimittel-Versender Shop-Apotheke, die Zur-Rose-Tochter eHealth-Tec sowie der Telemedizinanbieter Zava.

Als Ralf König bei der Vorstellung des neuen Vereins erklärte, dass „die Partikularinteressen einzelner Standesorganisationen die gegenwärtige Debatte (ums E-Rezept) dominieren“, hatte er zweifelsohne Recht. Stellt sich die entscheidende Gegenfrage, welche Partikularinteressen Shop-Apotheke, die Zur-Rose-Gruppe und Zava denn genau verfolgen …?

Mit Sicherheit nicht die der stationären Apotheken. Die ausländischen Versandapotheken erhoffen sich vom E-Rezept einen regelrechten Wachstumsschub. Dass dieser zwangsläufig zulasten der stationären Apotheken gehen wird – so ist das nun mal in der „schönen“ neuen disruptiven Welt –, blendet man gerne aus.

Nicht von ungefähr verursacht jede Verschiebung des E-Rezepts einen Kurssturz bei den Aktien von DocMorris & Co. Insofern bleibt ein fahler Beigeschmack – im Schwäbischen würde man „Gschmäckle“ sagen – wenn im Namen der enthusiastisch herbeigesehnten Digitalisierung im Gesundheitswesen etwas forciert wird, bei dem sich die offensichtlichen Partikularinteressen einzelner mit angeblichen Allgemeininteressen vermischen. Wenn das dann sogar noch mit Steuergeld gefördert wird, darf zu Recht bezweifelt werden, ob der Gesetzgeber das mit „Gemeinnützigkeit“ gemeint hat.

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(12):9-9