Steuerklasse II und Ehegattensplitting

Wenn Alleinerziehende heiraten


Helmut Lehr

Alleinstehende mit Kind können unter bestimmten Voraussetzungen einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 4.008 € steuerlich geltend machen ("Steuerklasse II"). Dies funktioniert nach aktueller Rechtsprechung selbst dann, wenn nach der Hochzeit das Splittingverfahren beantragt wird.

Wer in die Lohnsteuerklasse II eingereiht ist, wird zwar nach dem Grundtarif für "Ledige" besteuert, profitiert allerdings vom Entlastungsbetrag für Alleinerziehende. Dieser wurde für die Jahre ab 2020 auf immerhin 4.008 €/Jahr angehoben. Der Freibetrag soll den Mehraufwand von Steuerpflichtigen ausgleichen, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihren Kindern führen, ohne dass sich eine andere erwachsene Person tatsächlich oder finanziell daran beteiligt.

Hinweis: Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wird nur gewährt, wenn das Kind auch steuerlich zu berücksichtigen ist (Kindergeld/Kinderfreibetrag) und keine andere erwachsene Person im Haushalt lebt.

Als alleinstehend gelten Steuerpflichtige, wenn sie nicht die Voraussetzungen für das Ehegattensplitting erfüllen oder verwitwet sind. Aus Sicht der Finanzverwaltung war es daher bislang immer ausgeschlossen, dass Alleinerziehende im Jahr ihrer (ggf. erneuten) Heirat neben dem Splittingtarif auch den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende geltend machen können.

Ein Beispiel aus der Praxis

Apothekerin Mussel hat ihren zweiten Mann kurz vor Weihnachten 2021 geheiratet und wohnt seit diesem Tag mit ihm zusammen. Frau Mussel hat eine studierende Tochter, mit der sie zuvor allein lebte. Ihr Mann hat einen minderjährigen Sohn, mit dem er zuvor ebenfalls allein einen eigenen Haushalt führte.

Weil der Splittingtarif selbst dann zur Anwendung kommt, wenn die Voraussetzungen (verheiratet und nicht dauernd getrennt lebend) erst kurz vor Ende das Kalenderjahres erfüllt werden, beantragt das Paar für 2021 die Ehegattenveranlagung und zusätzlich zwei Entlastungsbeträge für Alleinerziehende. Das Finanzamt spielt dabei allerdings nicht mit und vertritt die Auffassung, dass durch die Wahl des Splittingtarifs keine Steuerentlastung für Alleinerziehende möglich ist.

Für eine vergleichbare Konstellation hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28.10.2021 (AZ: III R 57/20) entschieden, dass die frisch verheirateten Eheleute für das Jahr der Eheschließung neben dem Splittingverfahren auch die beiden Entlastungsbeträge für Alleinerziehende beanspruchen können. Schließlich waren beide bis zur Heirat im Dezember tatsächlich alleinstehend im steuerlichen Sinn und als Alleinerziehende nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend "mehrbelastet".

Hinweis: Eigentlich ist der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende für jeden vollen Monat, in dem die Voraussetzungen nicht vorliegen, zeitanteilig um 1/12 zu vermindern. Da Frau Mussel im Beispiel ihren Mann allerdings erst im Dezember 2021 geheiratet hat, kommt es für dieses Jahr zu keiner Kürzung. Hätten beide bereits im Juni 2021 geheiratet, wären die Entlastungsbeträge wenigstens zur Hälfte (Januar bis Juni = 6/12) berücksichtigt worden.

Der Bundesfinanzhof hat in einem weiteren Urteil vom 28.10.2021 (AZ: III R 17/20) klargestellt, dass der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende auch im Jahr der Trennung (zeitanteilig) in Betracht kommt, wenn sich die "Eheleute" einzeln veranlagen lassen. Natürlich müssen dafür auch die übrigen Voraussetzungen vorliegen, es darf also nach der Trennung keine Haushaltsgemeinschaft mit einer (anderen) erwachsenen Person bestehen.

Hinweis: Die neue positive Rechtsprechung dürfte wohl auch dann gelten, wenn sich die Eheleute im Jahr der Trennung nochmals für das Splittingverfahren ("Zusammenveranlagung") entscheiden.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(16):18-18