Dr. Hubert Ortner
Liebe Leserinnen und Leser,
wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dieses Michail Gorbatschow zugeschriebene Zitat gilt ebenso für den globalen Wettbewerb heute wie den erstarrten DDR-Staatsapparat damals. Aber Vorsicht: Mitunter ist auch das genaue Gegenteil richtig! Die niederländischen Arzneimittel-Versender und Online-Plattformen wissen, wovon ich rede: In froher Erwartung des E-Rezepts hatten DocMorris & Co. in den letzten drei Jahren sehr teure Werbekampagnen gefahren, um die Kunden frühzeitig auf ihre Vorstellung einer "modernen, digitalen Arzneimittel-Beschaffung" einzunorden. Die Kosten dafür würden sich schnell amortisieren, so das simple Kalkül, sollte sich erst das bislang verschlossene Rx-Füllhorn über ihnen öffnen.
Dabei scheinen sie ein deutsches Naturgesetz übersehen zu haben: Die Zeiträume zwischen vollmundiger Ankündigung ("wir zeigen der Welt, wie X, Y oder Z geht") und Umsetzung werden hierzulande nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten bemessen. Das gilt im besonderen Maße für die Digitalisierung des Gesundheitswesens – einem in punkto Inkompetenz, Ineffizienz und Intransparenz einzigartigen Mikrobiotop. Insofern ist auf die Verschiebung immer neuer Termine fürs E-Rezept genauso Verlass wie auf die Pünktlichkeit Schweizer Züge. ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening hat unlängst auf der Veranstaltung Vision.A bereits angedeutet, dass sich die zweite Phase des mit viel Trara gestarteten E-Rezept-Rollouts auch noch bis 2024 hinziehen könnte. Lege man die Erfahrungen in ihren eigenen Apotheken zugrunde – am 1. September wurde dort exakt ein E-Rezept eingelöst – dann könnte es sogar erheblich länger dauern. Ob sich dann noch jemand an die DocMorris-Werbung aus dem frühen 3. Jahrtausend erinnert ...?
Es grüßt Sie herzlichst
Ihr
Dr. Hubert Ortner
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(18):2-2