Inflationsausgleichsgesetz und Jahressteuergesetz 2022

Wichtige Steueränderungen beschlossen


Helmut Lehr

Der Gesetzgeber war in den letzten Wochen des Jahres 2022 besonders aktiv und hat zahlreiche Neuerungen auf den Weg gebracht. Insbesondere das Jahressteuergesetz 2022 enthält eine ganze Reihe praxisrelevanter Änderungen. Die wichtigsten stellen wir hier vor.

Noch vor Verabschiedung des Jahressteuergesetzes 2022 hatte der Bundesrat bereits am 25.11.2022 dem Inflationsausgleichsgesetz zugestimmt. Darin wurden die Eckwerte des Einkommensteuertarifs im Hinblick auf die aktuell deutlichen Preissteigerungen insgesamt "nach rechts" verschoben mit dem Ziel, die inflationsbedingt höhere Einkommensbesteuerung abzumildern (Tab. 1).

Hinweis: Die Entlastungen sind zwar erfreulich, sie werden die kalte Progression aber nicht vollständig ausgleichen können.

Übrigens: Die Freigrenze, bis zu welcher der Solidaritätszuschlag im Fall der Zusammenveranlagung nicht erhoben wird, erhöht sich für das Jahr 2023 von bislang 33.912 € (maßgebend ist die Höhe der Einkommensteuerbelastung) auf 35.086 € und für das Jahr 2024 auf 36.260 €. Bei einer Einzelveranlagung halbieren sich die Beträge.

Höheres Kindergeld und Kinderfreibeträge

Das monatliche Kindergeld wird ab dem 01.01.2023 für das erste und zweite Kind um 31 € und für das dritte Kind um 25 € auf einheitlich 250 € angehoben. Für das vierte und jedes weitere Kind beträgt das Kindergeld bereits bislang 250 € und bleibt unverändert.

Vor diesem Hintergrund erhöhen sich auch die Kinderfreibeträge, und zwar rückwirkend ab dem 01.01.2022 auf 8.548 € (zuvor: 8.388 €), für 2023 auf 8.952 € und für 2024 auf 9.312 €.

Hinweis: Die Kinderfreibeträge werden vom Finanzamt immer dann (automatisiert) bei der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigt, wenn sie zu einer höheren Entlastung führen als das zuvor gewährte Kindergeld ("Günstigerprüfung").

Photovoltaikanlagen jetzt zwingend einkommensteuerfrei

Bereits im Jahr 2021 hatte die Finanzverwaltung für Besitzer von kleineren Photovoltaikanlagen die Möglichkeit geschaffen, auf eine Einkommensbesteuerung "freiwillig" zu verzichten (vgl. dazu AWA 20/2021 und AWA 23/2021). Nun wurde per Gesetz eine generelle Einkommensteuerbefreiung für kleinere Anlagen mit einer Bruttonennleistung (lt. Marktstammdatenregister) von 30 kW auf Einfamilienhäusern und Gewerbeimmobilien (vgl. bereits AWA 24/2022) angeordnet. Für Mehrfamilienhäuser und gemischt genutzte Immobilien gilt eine Grenze von 15 kW je Wohn- und Gewerbeeinheit. Entgegen den ersten Entwürfen wurde jetzt beschlossen, dass die Steuerbefreiung auch dann greift, wenn die Anlage auf einem überwiegend betrieblich genutzten Objekt installiert wird. Sie gilt für den Betrieb einer einzelnen Anlage und – wenn jemand mehrere Anlagen betreibt – bis zu einer Gesamtleistung von maximal 100 kW pro Steuerpflichtigem.

Außerdem hat sich der Gesetzgeber kurzfristig dazu entschlossen, die Steuerfreiheit bereits rückwirkend für das Jahr 2022 einzuführen.

Hinweis: Durch die umfassende Einkommensteuerbefreiung entfällt die gesonderte Gewinnermittlung für das Betreiben der Anlage, was zu der politisch gerne versprochenen Entbürokratisierung beitragen soll. Befindet sich die Anlage allerdings auf einem (auch) betrieblich genutzten Gebäude – z.B. der eigenen Apotheke – werden sich zukünftig noch zahlreiche Abgrenzungsfragen stellen, insbesondere betreffend die laufenden Gebäudekosten, etwaige Gebäude-/Dachsanierungen etc.

Photovoltaikanlage die Zweite: Nullsteuersatz bei Umsatzsteuer

Ab 2023 beträgt der Umsatzsteuersatz für die Lieferung und Installation einer Photovoltaikanlage (einschließlich Stromspeicher) genau null Prozent (sog. Nullsteuersatz)! Mit diesem gesetzgeberischen Kniff, der formal keine Steuerbefreiung darstellt, will man erreichen, dass die Anlagenbetreiber kostenmäßig von der Umsatzsteuer entlastet werden und die beteiligten Lieferanten/Handwerker dennoch ihren Vorsteuerabzug aus damit in Zusammenhang stehenden Eingangsleistungen behalten.

Faktisch ist damit eine weitere Bürokratieentlastung verbunden, weil die Abgabe von Umsatzsteuererklärungen für neue Anlagen entbehrlich wird (vgl. ausführlich AWA 24/2022).

Hinweis: Anders als bei der Einkommensteuer gilt die Befreiung erst für Anlagen, die 2023 in Betrieb gehen. Für "Alt-Anlagen" bleibt umsatzsteuerlich alles wie gehabt.

Pauschale für das häusliche Arbeitszimmer

Bislang sind die Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer dem Grunde nach eigentlich nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig. Etwas anderes gilt allerdings, wenn für die betriebliche/berufliche Tätigkeit kein anderer (Büro-)Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In solchen Fällen können Kosten von bis zu 1.250 € geltend gemacht werden. Ein unbeschränkter Betriebsausgaben- oder Werbungskostenabzug ist ausnahmsweise dann möglich, wenn das Heimbüro den tatsächlichen Mittelpunkt der gesamten betrieblichen/beruflichen Tätigkeit darstellt.

Ab 2023 tritt an die Stelle des Höchstbetrags eine Jahrespauschale in Höhe von 1.260 €. Das bedeutet: Ein Einzelnachweis der Kosten ist künftig nur dann notwendig, wenn die Aufwendungen in voller Höhe abziehbar sind, das Arbeitszimmer also den Mittelpunkt der gesamten Tätigkeit darstellt.

Hinweis: Liegen die Voraussetzungen für die Nutzung des Arbeitszimmers in einzelnen Monaten nicht vor – z.B. wenn ein früheres Kinderzimmer im Laufe des Jahres zum Arbeitszimmer umfunktioniert wird –, ermäßigt sich die Jahrespauschale um je ein Zwölftel.

Erhöhte Homeoffice-Pauschale

Die Homeoffice-Pauschale in Höhe von 5 € pro Tag (max. 600 € pro Jahr) sollte ursprünglich nur für die Jahre 2020 bis 2021 (bzw. dann auch für 2022) gelten. Sie gilt nun dauerhaft und wurde auf 6 € pro Tag und max. 1.260 € pro Jahr angehoben. Damit wären 210 Arbeitstage zu Hause – z.B. am Küchentisch oder im Esszimmer – abgedeckt, sofern die Abzugsvoraussetzungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht vorliegen.

Hinweis: Kosten für typische Arbeitsmittel wie PC, Büromaterial etc. sind weiterhin unabhängig von der Homeoffice-Pauschale abzugsfähig.

Erhöhte Gebäudeabschreibung

Vermieten Sie ein Wohngebäude oder eine Eigentumswohnung, können Sie in der Regel eine Abschreibung von 2% pro Jahr als Werbungskosten abziehen. Nun wird der lineare Abschreibungssatz von 2% auf immerhin 3% angehoben. Das entspricht zwar praktisch einer Nutzungsdauer von rund 33 Jahren, die tatsächliche Nutzungsdauer soll sich allerdings für steuerliche Zwecke nicht ändern, sodass diese auch weiterhin in der Regel mehr als 50 Jahre betragen wird.

Der erhöhte Abschreibungssatz gilt allerdings nicht für Bestandsgebäude, sondern nur für solche Objekte, die ab 2023 fertiggestellt werden.

Hinweis: In Grenzfällen wird es diesbezüglich maßgeblich auf die Bewohnbarkeit nach Abschluss der wesentlichen Bauarbeiten ankommen.

Sonderabschreibung für Mietwohnungsneubau

Neue Mietwohnungen können Sie unter bestimmten Voraussetzungen vier Jahre lang zusätzlich mit 5% abschreiben (vgl. AWA 15/2019 und AWA 4/2020). Die Sonderabschreibung ist (nur) bei Baukosten von maximal 3.000 €/qm möglich. Für Wohnungen, die in einem Gebäude liegen, das aufgrund eines nach dem 31.12.2022 und vor dem 01.01.2027 gestellten Bauantrags oder einer in diesem Zeitraum getätigten Bauanzeige errichtet wurde, gelten nun weitere Voraussetzungen: Das Objekt muss nämlich die Kriterien eines "Effizienzhaus 40" mit Nachhaltigkeits-Klasse erfüllen. Der Nachweis erfolgt über das Qualitätssiegel "Nachhaltiges Gebäude".

Hinweis: Für diese Objekte gilt dann auch eine erhöhte Anschaffungskostengrenze, nämlich 4.800 €/qm (statt 3.000 €/qm).

Besteuerung der Gas-/Wärmepreisbremse!

Der Gesetzgeber hat sich offenbar relativ kurzfristig dazu entschieden, alle Entlastungen, die im sog. "Erdgas-Wärme-Soforthilfegesetz" (EWSG) enthalten sind, der Besteuerung zu unterwerfen. Dazu wurden eigens die §§ 123 bis 126 in das Einkommensteuergesetz aufgenommen. Sofern die Einnahmen bzw. Vergünstigungen nicht bereits einer bestimmten Einkunftsart zugeordnet werden können, werden sie als sonstige Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 Einkommensteuergesetz beurteilt ("Sonstige Einkünfte").

Die Entlastung wird allerdings erst ab einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 66.915 € (Beginn der sog. Milderungszone) bzw. 133.830 € bei Zusammenveranlagung sukzessive den steuerpflichtigen Einkünften hinzugerechnet.

Hinweis: Die Neuregelung ist durchaus komplex und dürfte mal wieder als Lehrstück für zusätzliche (unnötige) Bürokratie in die Geschichte eingehen!

Weitere Änderungen im Überblick

Arbeitnehmer-Pauschbetrag

Die Pauschale wird ab 2023 von bislang 1.200 € auf 1.230 € angehoben.

Sparer-Pauschbetrag

Bisher sind Kapitaleinkünfte von 801 € bzw. 1.602 € bei Zusammenveranlagung (Freistellungsvolumen) steuerfrei. Der Sparer-Pauschbetrag erhöht sich ab 2023 auf immerhin 1.000 € bzw. 2.000 €. Bereits erteilte Freistellungsaufträge sollen aus Vereinfachungsgründen prozentual erhöht werden. Außerdem wird künftig eine ehegattenübergreifende Verlustverrechnung bei Kapitaleinkünften möglich sein – und zwar bereits für das Veranlagungsjahr 2022.

Altersvorsorgeaufwendungen

Nachdem der Bundesfinanzhof zu einer möglichen Doppelbesteuerung von Renten entschieden hat (vgl. AWA 14/2021), sah man sich seitens des Gesetzgebers offenbar zu schnellerem Handeln gezwungen, als zunächst geplant. Deshalb wird bereits ab 2023 ein vollständiger Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendungen möglich sein – und nicht erst ab dem Jahr 2025. Diese Maßnahme ist nur ein erster Schritt und beseitigt natürlich nicht sämtliche Zweifel an der (möglicherweise doppelten) Besteuerung von Altersrenten.

Betriebliche Buchhaltung

Der Ansatz von aktiven oder passiven Rechnungsabgrenzungsposten kann künftig aus Vereinfachungsgründen unterbleiben, wenn die jeweilige Ausgabe/Einnahme den Grenzbetrag für geringwertige Wirtschaftsgüter (dieser liegt derzeit bei 800 €) nicht übersteigt. Die Regelung gilt erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2021 enden.

Energiepreispauschale für Renten- und Versorgungsbezieher

Der Gesetzgeber hat nun klargestellt, dass die 300 € Energiepreispauschale auch von Rentnern zu versteuern sind, sofern sie mit ihren Einkünften im steuerpflichtigen Bereich liegen.

Ausbildungsfreibetrag

Bislang können Eltern zur Abgeltung des Sonderbedarfs eines sich in Berufsausbildung befindenden, auswärtig untergebrachten, volljährigen Kindes (mit Anspruch auf Kindergeld) einen Freibetrag in Höhe von 924 € als außergewöhnliche Belastung geltend machen. Dieser Betrag wird ab 2023 auf 1.200 € angehoben.

Bewertung von Grundstücken

Die unter anderem für die Erbschaft- und Schenkungsteuer maßgebende Ermittlung von Grundstückswerten wird modifiziert bzw. an die geänderte Immobilienwertermittlungsverordnung angepasst. Dadurch könnten sich insbesondere bei der Übertragung von Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Eigentumswohnungen höhere Steuerbelastungen ergeben – auch wenn dies vom Gesetzgeber (angeblich) nicht ausdrücklich gewollt war.

Eine in diesem Zusammenhang geforderte Erhöhung der persönlichen Freibeträge bei der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer wurde zunächst noch nicht umgesetzt.

Neues Auszahlungssystem für öffentliche Leistungen

Es wurde zumindest eine (erste) Rechtsgrundlage dafür geschaffen, dass künftig ein Auszahlungssystem für öffentliche Leistungen (z.B. "Klimageld") aufgebaut werden kann, das unter Nutzung der steuerlichen Identifikationsnummer funktionieren soll.

Ziel ist es, mit vergleichsweise geringer Bürokratie ein möglichst betrugssicheres Auszahlungsverfahren zu etablieren, ohne z.B. ständig das Steuerrecht mit Änderungen für gewollte öffentliche Förderungen überfrachten zu müssen.

 

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(01):11-11