Chancen und Risiken beim Medizinal-Cannabis

Willkommene Nebenwirkungen


Thomas Reipen

Lohnt sich das Medizinal-Cannabis-Geschäft für Apotheken? Thomas Reipen gewährt uns dazu einen Einblick in die Erfahrung seiner Apondium-Apotheke. Rein kaufmännisch betrachtet fällt die Bilanz eher nüchtern aus. Dafür steigert die Aussicht auf den täglichen Umgang mit den Blüten seine Attraktivität als Arbeitgeber ungemein – ein „Nebeneffekt“, der in Zeiten chronischen Personalmangels nicht zu unterschätzen ist.

Medizinal-Cannabis in der Apotheke ist zwar ein Nischenthema, das die Branche zurzeit jedoch stark bewegt. (Photo: AdobeStock_92196462_ Africa-Studio)

Anfang Mai waren Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Gesundheitsminister Karl Lauterbach vor die Presse getreten und hatten ihre Pläne zur weiteren Legalisierung von Cannabis konkretisiert. Nun haben die Pläne das Bundeskabinett passiert und sollen dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Apotheker signalisierten umgehend, dass sie von diesen Entwürfen wenig bis gar nichts halten, denn es gibt erhebliche Unterschiede zwischen geprüftem Medizinal-Cannabis mit meist hohem THC-Gehalt und Cannabis der Marke Eigenanbau. Medizinal-Cannabis gehört weiterhin in die BTM-Pflicht, denn das bedeutet Verordnung durch den Arzt und geprüfte Abgabepflicht der Apotheke.

„Medizinal-Cannabis hat durchaus seine Berechtigung in einer modernen Schmerztherapie, aber es gehört insbesondere bei hohem THC-Gehalt weiterhin unter die BTM-Verschreibungsverordnung und in die Hand von Arzt und Apotheker. Politisch motivierte Kampagnen der Bundesregierung mit dem Ziel einer kompletten Legalisierung bringen uns da nicht weiter.“

Die Frage steht im Raum, ob es sich für Apotheken überhaupt noch lohnt, sich mit dem Thema Cannabis zu beschäftigen. Ein realistischer Blick zeigt, dass sich spezialisierte Online-Apotheken in puncto Cannabis gerade als Profis auf dem Markt präsentieren. Mit Apotheke hat das nicht viel zu tun. Stattdessen: Räume wie Lagerhallen mit innenliegenden Tresorräumen. Nach Eingang des Rezeptes wird das Medizinal-Cannabis von dort aus bundesweit versandt. In dieser Menge kann das kaum eine Vor-Ort-Apotheke leisten.

In unseren Apotheken beschäftigen wir uns bereits seit zwei Jahren mit dem Thema. Schon damals gab es starke Konkurrenz auf dem Markt. Wir haben es trotzdem gewagt. Hier die wichtigsten Gründe, warum wir uns für das Geschäft mit Medizinal-Cannabis in unseren Apotheken entschieden haben:

Wir können die Beratung leisten

Durch die benachbarte Uniklinik hatten wir viele spezielle Rezepturen und ungewöhnliche Medikamente. Das Apothekenteam musste und konnte sich dadurch eine hohe Beratungsqualität aufbauen, die auch bei Cannabis hilfreich war. Meiner Erfahrung nach gehören Cannabispatienten zu den offensten Kundengruppen, die die Apotheke aufsuchen. Sie sind empfänglich für Beratung und lieben den Austausch mit Fachleuten über die verschiedenen Blüten und Extrakte sowie ihre Erfahrungen.

Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den Ärzten. Die Bereitschaft zur Verordnung ist zwar insgesamt gering, doch das muss nicht so bleiben. Ärzte, die Cannabis verordnen, sind dankbar für eine kompetente Apotheke, die ihnen bei der korrekten Verordnung hilft. Diese Zusammenarbeit zwischen Patienten, Arzt und Apotheke ist sehr bereichernd und zukunftsweisend.

Wir machen Erfahrungen mit dem Online-Business

Schon seit Jahren besitzen wir eine Versandhandelserlaubnis und betreiben einen eigenen Online-Shop. Die Bestellungen waren bislang überschaubar, da wir hier nicht in den Preiskampf einsteigen wollten. Der Versand von Cannabis ist spezieller. Abgesehen von den Besonderheiten des Post-Ident-Verfahrens, was bei der Versendung von Cannabis bisher zwingend erforderlich ist, findet auch die Kommunikation mit dem Kunden viel digitaler statt. Über Zahlungsabwicklungen und Vorauskasse haben wir uns bis vor Kurzem noch kaum Gedanken gemacht. Mittlerweile haben sich auch in diese Prozesse etabliert, die uns Zeit und Geld sparen und zukunftsfähig machen. Die Strukturen stehen und können auch für eine effiziente Belieferung von E- Rezepten genutzt werden.

Wir profilieren uns als Experten in einer innovativen Nische

Wie eingangs erwähnt, gibt es große Player auf dem deutschen Medizinal-Cannabis-Markt. Diese können den Patienten durch ihre hohen Rabatte beim Einkauf zwar oft attraktivere, günstigere Preise anbieten. Als Apotheke vor Ort können wir durch die Nähe zu den Patienten aber dennoch unseren festen Kundenstamm finden. In unseren Gesprächen erfahren wir häufig, dass viele Patienten den Versand gar nicht wollen! Wir sprechen schließlich immer noch über Cannabis als Arzneimittel. Wo landet es, wenn bei Lieferung keine Empfänger zuhause ist? Was passiert, wenn die Lieferung unterwegs verloren geht? Da genießt die Apotheke neben ihrem Fachwissen mit ihrer Vor-Ort-Präsenz nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal.

Die Patienten von Medizinal-Cannabis sind oft gut untereinander vernetzt. Wenn jemand eine Apotheke entdeckt, die diesbezüglich über eine hohe Expertise verfügt, kann man sich sicher sein, dass das alle anderen in der Umgebung erfahren. Das eröffnet wiederum neue Möglichkeiten.

Wir steigern unsere Attraktivität als Arbeitgeber

Die wichtigste, überaus positive „Nebenwirkung“ des Cannabisgeschäfts ist die Steigerung der eigenen Attraktivität als Arbeitgeber. Es gibt kaum eine Apotheke, die nicht unter einer gewissen Personalknappheit leidet. Sich über den Faktor Gehalt zum attraktiven Arbeitgeber zu machen, ist riskant – sobald die Konkurrenz mehr zahlt, ist der Mitarbeiter wieder weg.

Der professionelle Umgang mit Cannabis klingt für einen PJ oder eine PTA sehr reizvoll. Es gibt hier vielfältige Fortbildungsmöglichkeiten, zudem findet oft ein Austausch auf Augenhöhe zwischen Arzt, Patient und Apotheke statt. Die staatlich regulierten Blüten aus deutschem Anbau sind da nur ein kleiner Teil aus einem breiten Produktsortiment. Wir haben inzwischen mehr als 40 verschiedene Blüten ständig auf Lager und können von unseren spezialisierten Cannabisgroßhändlern innerhalb von 24 Stunden auf ein noch größeres Produktsortiment zurückgreifen. Die Zusammenarbeit mit diesen meist sehr jungen Cannabisfirmen, die ihre Ware im Markt platziert sehen möchten, hat ihren ganz eigenen Charme.

Streitpunkt Identitätsprüfung

Der Hauptkritikpunkt am Handel mit Medizinal-Cannabis sind die aufwendigen Regularien: einerseits die BTM-Verschreibungsverordnung, andererseits, dass die Blüten beim Wareneingang einer aufwendigen Identitätskontrolle unterzogen werden müssen.

Es ist bisher noch nicht eindeutig geregelt, wie die Dokumentation der Blüten zukünftig erfolgen soll, wenn Cannabis aus der BtMVV genommen werden soll. Kaum zu glauben, dass es weniger Bürokratie werden könnte ...

Die meisten Streitpunkte mit den Aufsichtsbehörden betreffen die Validität verschiedener Identitätsprüfungen. Es gibt zahlreiche davon, aber die meisten Amtsapotheker akzeptieren diese nicht.

Daher bleibt i. d. R. nur die nasschemische Dünnschichtchromatographie (DC) übrig. Ich war erstaunt, welchen Spaß meine jungen Apotheker und PTAs daran hatten, mit dem Wissen aus Schule und Studium die DC anzusetzen.

Mit Engagement und Kreativität zum Erfolg

Es bleibt ein ungewisser Ausblick auf die Zukunft, der von einigen politischen Unsicherheiten geprägt sein wird. Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag heraus, wie es reingegangen ist, wir dürfen also gespannt sein, welche Änderungen noch auf uns zukommen. Schließlich wird es noch von den Bundesländern und den Modellregionen abhängen, wie die Umsetzung vor Ort funktionieren soll.

Unserer Apotheke eröffnet Medizinal-Cannabis viele neue Möglichkeiten, um uns in einem innovativen Markt patientenorientiert zu positionieren. Um hier auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein, braucht es jedoch viel Engagement und Kreativität, um die Prozesse in der Apotheke entsprechend anzupassen und die nötige Expertise aufzubauen (siehe Voraussetzungen).

 

Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einstieg ins Cannabisgeschäft

Eine Apotheke, die den Einstieg ins Geschäft mit Medizinal-Cannabis erwägt, braucht zunächst eine Standort-Analyse:

  • Gibt es schon andere Apotheken in meiner Umgebung, die sich mit diesem Thema beschäftigen?
  • Wohnen in meinem Einzugsgebiet (Radius von 20 bis 30 km) genug potenzielle Kunden, die sich ihr Medizinal-Cannabis in der Apotheke abholen könnten?

Hier liegt zweifelsohne der größte Vorteil gegenüber Versendern: Die Kunden möchten diese Ware ungern per Versand beziehen, sondern viel lieber in ihrer Apotheke vor Ort abholen, die sie als Patienten sieht und nicht einfach als „Kiffer“ abtut, und wo sie zugleich eine kompetente Beratung bekommen.

Thomas Reipen, Apothekeninhaber apondium Apotheken, 41472 Neuss, E-Mail: t.reipen@apondium.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(17):6-6