Steigende Krankenkassenbeiträge ...

... und trotzdem zu wenig Geld im System!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

2024 wird der maximale Krankenkassenbeitrag bei rund 755 € monatlich liegen, plus gern 60 € bis an die 100 € Zusatzbeitrag, der ebenfalls steigt. Damit wird ein gut 300 Milliarden Euro teurer Apparat namens gesetzliche Krankenversicherung aufrecht erhalten. Privatversicherungen und die Beamtenbeihilfe füttern das Gesundheitswesen mit weiteren gut 40 Mrd. €. Die Pflegeversicherung, auch ein tiefes, schwarzes Kostenloch, welches die 50-Milliarden-Euro-Grenze längst weit überschritten hat, schlägt für Kinderlose nochmals mit gut 200 € Monatsbeitrag zu Buche. Damit ist die 1.000-Euro-Grenze für den Gesamtbeitrag an Kranken- und Pflegekasse überschritten. Der Trick liegt, neben der Beitragssatzschraube, in der steten Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenzen. Diese steigt 2024 um 187,50 € monatlich auf 5.175 €. Vierstellige Beiträge kannten wir bislang aus den USA und haben uns darüber echauffiert. Dass hierzulande die Hälfte bei den Allermeisten (aber nicht allen, wie z. B. „freiwillig“ versicherten Selbstständigen) vom Arbeitgeber getragen wird, ist dabei nur Augenwischerei. Die Beiträge müssen aus den Lohnkosten heraus erwirtschaftet werden.

So zahlt jemand mit durchgehend Höchstbeitrag in 40 Arbeitsjahren rund eine halbe Million Euro ein. Bei Akademikern oder höher qualifizierten Facharbeitern ist das weitgehend so. Verzichten wir an dieser Stelle auf die Betrachtung, was wäre, wenn Sie nur die Hälfte davon rentabel über diese Zeit anlegen würden (die andere Hälfte benötige man in der aktiven Zeit, was oft nicht mal der Fall ist). Sie würden wohl angesichts der Zinseszins-Effekte und der resultierenden Endbeträge vom Stuhl fallen. Ihre üblichen Krankenkosten könnten Sie im Alter aus den Zinsen des angesammelten Kapitals begleichen. Aber das ist ein anderes Thema.

Bereits im Hier und Jetzt haben wir unübersehbare Schieflagen, erst recht, wenn man auf die gebotenen Leistungen schaut. 1.000 € Beitrag – aber Bittsteller bei Arztterminen, Allerweltsmedikamente kaum lieferbar, allenthalben ist der Patient zunehmend Störfaktor, der auf ein vermeintlich völlig unterfinanziertes und personell ausgeblutetes Gesundheitswesen trifft. Wirklich? Ein Gesundheitswesen nämlich, wo, auch pro Einwohner gerechnet, so viele Personen arbeiten wie noch nie, und in welchem, wie erwähnt, Rekordsummen stecken. Da lohnt es sich, tiefer zu schauen: Wie viele Arbeitsstunden werden noch pro Kopf erbracht, wie viel versickert in Bürokratie und ineffizienter Organisation, und: Arbeit ist nicht gleich Leistung!

In der nicht gerade billigen Schweiz bewegen sich die Prämien für Erwachsene in der „OKP“ (Obligatorische Kranken- und Pflegeversicherung) je nach Kanton um 300 bis 500 Franken monatlich, welche Arbeitnehmer aber allein bezahlen. Abgesehen von der fehlenden Zahnversorgung liegt der Leistungsumfang nur etwas unter hiesigem GKV-Level. Zusatzversicherungen sind verbreitet. Selbst mit guter Absicherung bleibt man regelhaft spürbar unter den hiesigen Beiträgen nur etwas besser Verdienender. Von Ländern wie den Niederlanden und den dortigen Beiträgen fangen wir gar nicht erst an.

Und nun? Reicht noch der sanfte Reform-Tuschepinsel („allen wohl, niemandem weh“), oder braucht es den Kahlschlag? Dann holzen wir mal kräftig aus: Heil- und Hilfsmittel auf den Prüfstand (Potenzial einige Milliarden), 50.000 € weniger (!) je Arztpraxis (= rund 6 Mrd. €, Ohren zuhalten!), 5.000 Apotheken weniger (Einsparung gut 3 Mrd. € Rohertrag), Hochpreis-Arzneien ausdünnen (etliche Milliarden Euro), Krankenhäuser minus 10 % (um 10 Mrd. € und Sonderkonjunktur für Trillerpfeifen), und nicht zuletzt: Inkaufnahme von einem gewissen Level an Arbeitslosigkeit als Korrektiv heutiger Anspruchshaltungen.

Ja, ist denn der Autor jetzt völlig übergeschnappt? Nein, ist er nicht. Wer im Gebirge auf dem Gipfel steht, blickt ringsum in Abgründe. Bläst der kalte Wind der globalen (Wirtschafts-)Auseinandersetzung allzu kräftig, rückt der harte Abstieg, schlimmstenfalls Absturz, näher. Wir schauen hier in den Abgrund und taxieren die Fallhöhe. Und verflucht: Selbst diese Horror-Streichliste brächte „nur“ um die 30 Mrd. €, 10 % der GKV-Ausgaben. Ein wirklich wirksames Reform-Brett wäre ein sehr, sehr dickes. Ein Grund mehr, die Gipfelposition zu halten. Wir sind zum Erfolg verdammt, oder es wird verdammt bitter. Doch leicht bekleidet in eisiger Höhenlage und fröhlich Work-Life-Balance trällernd wird das nichts.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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