Sertan Deniz Öksüz, André Butterweck
Die Frei- und Sichtwahl leistet einen wichtigen Beitrag zum Ergebnis von Apotheken. (© AdobeStock/benjaminnolte)
Wirtschaftlich betrachtet sind die rezeptpflichtigen Rx-Produkte nach wie vor die tragende Säule der Vor-Ort-Apotheken – sie sind nicht nur die Umsatzbringer, sondern steuern auch den Löwenanteil zum Ertrag bei. Ebenfalls tragen Frei- und Sichtwahl erheblich zur wirtschaftlichen Stabilität bei. Neben höheren Margen sorgen OTC-Produkte überdies für eine größere Angebotsvielfalt.
Dass das OTC-Segment nach wie vor eine integrale Rolle in der Umsatzstruktur der Vor-Ort-Apotheken spielt, zeigt eine aktuelle Datenerhebung des Dienstleistungsunternehmens Insight Health und der ABDA (Abb. 1). Sonderleistungen im Rahmen der Coronapandemie sind dabei nicht berücksichtigt.
Abb. 1: Entwicklung OTC-Umsätze in Apotheken, 2020 – 2022
Demnach verbuchte das Geschäft mit OTC-Produkten im Vorjahr ein Umsatzwachstum i. H. von 7,2 %. Damit machen die Frei- und Sichtwahl rund 16 % des gesamten Apothekenmarktes aus. Noch stärker fielen die Zuwächse beim Absatz aus: So konnten im Jahr 2022 614 Mio. OTC-Arzneimittelpackungen abgesetzt werden. Das ist eine prozentuale Steigerung von 15,2 % im Vergleich zum Vorjahr.1
Trotz dieser positiven Entwicklung hat der Anteil des OTC-Geschäfts am Gesamtumsatz in den letzten zehn Jahren gegenüber dem Rx-Segment deutlich an Boden verloren. Der in- und ausländische Versandhandel konnte im Jahr 2022 eine Umsatzsteigerung i. H. von 10,5 % bei OTC-Arzneimitteln verbuchen. Damit ging der OTC-Marktanteil der öffentlichen Apotheken auf 79,3 % zurück.
Welches Segment trägt wie viel zum Ertrag bei?
Abbildung 2 zeigt auf, wie wichtig der Beitrag der Frei- und Sichtwahl für das betriebswirtschaftliche Ergebnis einer Apotheke ist: In der Beispielapotheke trägt das OTC-Sortiment 22 % zum Gesamtrohertrag bei.
Abb. 2: Modellhafte Verteilung des Rohertrags auf Rx- und OTC-Segment
Essenziell für eine erfolgreiche Preisstrategie von Frei- und Sichtwahlprodukten ist jedoch die Kalkulation des individuell notwendigen Aufschlagsatzes für OTC-Produkte. Ausgehend von Umsatz, Wareneinsatz (WES) und Rohertrag der einzelnen Sortimente folgt im zweiten Schritt die Ermittlung der Handlungs- bzw. Selbstkosten und die Definition des notwendigen Ertrages.
Unter der Annahme von betriebswirtschaftlichen Handlungskosten i. H. von 549.000 € resultiert das in Tabelle 1 gezeigte Bild. Im vorliegenden Beispiel übersteigt der Rohertrag des Rx-Bereiches alle Kosten um etwa 12.000 € (561.000 € – 549.000 €). Wenn es bei dem Gesamtgewinn von rund 169.000 € bleiben soll, würde es reichen, wenn der OTC-Bereich mit einem Rohertrag von circa 157.000 € (169.000 € – 12.000 €) zum Ergebnis beiträgt.
Tab. 1: So viel Gewinn bleibt nach Abzug der Kosten übrig
Im Anschluss lässt sich nun der notwendige kalkulatorische Aufschlagsatz für den OTC-Bereich berechnen (Abb. 3). Somit müsste jeder Artikel im OTC-Bereich dieser Beispielapotheke mit mindestens 53,58 % Aufschlag kalkuliert werden, um den Gewinn zu sichern. Dieser Pauschalwert liefert eine solide Kalkulationsgrundlage. Wer hier differenzierter agieren will, braucht eine detaillierte Aufschlüsselung der OTC-Preise nach Warengruppen und dem lokalen Wettbewerbsumfeld, wie sie z. B. professionelle Datenspezialisten anbieten.
Abb. 3: Berechnung des kalkulator. Aufschlags für OTC-Produkte
Psychologische Preishürde überwinden
Die Kalkulation ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Soll die aktive Preisgestaltung tatsächlich Früchte tragen, kommt es entscheidend auf die Verkaufskompetenz der Mitarbeiter an. Diese gezielt zu schulen, kann eine durchaus lohnenswerte Investition sein. Denn nicht selten heißt es in Apotheken immer noch: „Wir können das Produkt empfehlen, aber …“.
Die Angst vor (vermeintlich zu hohen) Preisen entsteht insofern teilweise bereits hinter dem Handverkaufs-Tisch. Hier gilt es anzusetzen: Die Mitarbeiter müssen eine solche „psychologische Preishürde“ überwinden und Überzeugungsarbeit leisten.
Eine Umfrage unter 500 Apothekenkunden hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Befragten den Preis für eine Packung Aspirin nicht kannten. Knapp 70 % schätzten ihn zu hoch ein. Der Preis bzw. Wert einer Ware wird immer subjektiv empfunden, und dieses Empfinden lässt sich unter anderem durch eine kluge Preispolitik, Sortimentsgestaltung und Beratung durchaus beeinflussen.
Fazit
Der OTC-Bereich trägt trotz steigender Marktanteile des Versandhandels nach wie vor substanziell zum Gesamtertrag von Apotheken bei. Anders als bei verschreibungspflichtigen Rx-Arzneimitteln haben Sie als Apothekenleiter bei Produkten der Frei- und Sichtwahl die Möglichkeit einer aktiven Preisgestaltung bzw. Preispolitik, die Sie gezielt als Marketinginstrument nutzen sollten.
Gerade bei OTC-Produkten kommt es entscheidend auf eine kluge kaufmännische Kalkulation an: Auf der einen Seite blockieren zu hohe Preise mögliche Umsätze, auf der anderen Seite können Dumpingpreise die eigene Rendite langfristig gefährden (siehe auch Praxistipp).
Praxistipp: Rx bei Full House, OTC bei Flaute
Wie bereits an anderer Stelle von Prof. Herzog dargestellt (vgl. AWA 10/2023, S. 4 f.), ist – unter Berücksichtigung aller Personalkosten – der absolute Rohertrag im Rx-Bereich nachweislich höher als im OTC-Bereich. Man könnte also in Stoßzeiten den Rx-Produkten den Vorrang geben und Zusatzverkäufe zurückstellen. Ist die Apotheke weniger frequentiert, kann es indes lohnenswert sein, sich stärker auf Zusatzverkäufe zu konzentrieren.
Sertan Deniz Öksüz, Consultant, RST Steuerberatungsgesellschaft mbH, 45128 Essen, E-Mail: soeksuez@rst-beratung.de
André Butterweck, Dipl.-Ök., Dipl.-Arb.wiss., ö. b. u. v. Sachverständiger für Apothekenbewertung, RST Steuerberatungsgesellschaft mbH, 45128 Essen, E-Mail: abutterweck@rst-beratung.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(20):12-12