Reaktionen auf Karl Lauterbachs Reformvorschläge für Apotheken

Gefährliche Selbstüberschätzung


Dr. Hubert Ortner

Für hitzige Kontroversen sorgte der Auftritt von Karl Lauterbach auf dem Deutschen Apothekertag. Dass ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening seine Reformpläne rundweg ablehnte, mag zwar Balsam auf die Delegierten-Seelen gewesen sein. In der Sache bringt es die Branche aber nicht einen Schritt weiter, wenn sich im politischen Berlin einmal mehr die Erkenntnis durchsetzt: „Mit denen lohnt es sich überhaupt nicht zu reden. Die sind sowieso immer gegen alles.“

Eine realistische Selbsteinschätzung ist die Basis eines jeden Verhandlungserfolgs. Wer sich selbst überschätzt, riskiert am Ende leer auszugehen. (© Ado

Da sage noch jemand, deutsche Apothekertage seien langweilig. Das diesjährige Branchentreffen in Düsseldorf war das genaue Gegenteil: Spannung und Emotionen pur, dazu eine Dramaturgie wie aus dem Lehrbuch: Schon im Vorfeld sticht Karl Lauterbach seine Reformpläne per Interview mit der FAZ durch, dann die kämpferische Rede von ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening und schließlich die Erklärung des Bundesgesundheitsministers per Videoschaltung. Wenig überraschend werden Lauterbachs Vorschläge rundweg abgelehnt und die Delegierten auf einen kompromisslosen Konfrontationskurs eingeschworen. Es folgen zwei Resolutionen, letztere als sogenannte „Düsseldorfer Erklärung“: Beide weisen die Reformpläne entschieden zurück und bekräftigen die seit Monaten lautstark vorgetragenen Forderungen nach einer substanziellen Erhöhung des Rx-Festbetrags.

Ja, es gibt eine wachsende Zahl an Apotheken am unteren Ende, denen die Luft ausgeht. Diese zum repräsentativen Maßstab für die gesamte Apothekerschaft zu erheben, ist aber problematisch und nichts anderes als der Versuch, Politik und Öffentlichkeit mit Teilwahrheiten zu beeindrucken. Insofern sollte Lauterbachs subtile Botschaft - "Ich traue euch und euren Zahlen nicht" - niemanden ernsthaft überraschen ...

Wir sind die Guten

Werfen wir zunächst einen Blick auf die emotionale Seite des Ganzen. Ja, die Art und Weise, wie Karl Lauterbach mit den Apothekern kommuniziert – wenn überhaupt, und dann meist nur „über Bande“ – ist unterirdisch und geprägt von Geringschätzung. Wobei die Erwartung, dass er artig zum Rapport erscheint und pflichtschuldig die ihm gestellten Fragen beantworten würde, von einiger Naivität zeugt. Zugutehalten muss man der ABDA-Präsidentin, dass sie eine mitreißende Rede gehalten und die Stimmungslage der Delegierten auf den Punkt getroffen hat. Das war – psychologisch betrachtet – eine durchaus gelungene Form der Selbstvergewisserung: Wir stehen geschlossen zusammen und lassen uns durch dieses „vergiftete Scheinangebot“ nicht von unserem Kurs abbringen. Unsere Forderungen sind mehr als berechtigt, denn wir sind die „Guten“ – während der Lauterbach es böse mit uns meint.

Klare rote Linien ganz im Sinne der Apotheken

Kommen wir nun auf die sachliche Ebene. Zunächst vorneweg: Ja, angesichts zuletzt stark gestiegener Kosten ist ein finanzieller Ausgleich für Apotheken genauso überfällig wie in vielen anderen Branchen auch. Aber nicht in dieser Höhe, die eine Mehrbelastung von gut 3 Milliarden Euro für die Beitragszahler zur Folge hätte (vgl. hierzu auch AWA 13/2023, S. 6 f.).

Zurück zu Lauterbachs Reformvorschlägen. Im Kern will er das Mehrbesitzverbot lockern und dadurch Anreize schaffen, dass Apotheken einfacher als bisher neue Filialen in strukturschwachen Regionen aufbauen. In diesen „Apotheken light“ sollen Rezeptur, Labor und Notdienst nicht mehr verpflichtend sein, und Apotheker telepharmazeutisch durch erfahrene PTA vertreten werden können. Das klingt nach Flexibilisierung und Entbürokratisierung, wie sie regelhaft auf Deutschen Apothekertagen gefordert wurde. Zugleich skizzierte der Bundesgesundheitsminister klare rote Linien ganz im Sinne der Apotheken: Das Fremdbesitzverbot ist für ihn sakrosankt, eine Stärkung des Versandhandels ebenfalls kein Thema, und die Zahl der Apotheken keineswegs zu hoch. So weit, so gut. Auf die Forderung nach einer Erhöhung des Rx-Fixums auf 12 Euro ging Lauterbach nicht direkt ein, machte aber klar, dass er zeitnah eine Reform des Apothekenhonorars auf den Weg bringen wolle.

Sieht so die „totale Apothekenzerstörung“ aus …?

Der darauf folgende Theaterdonner dürfte selbst Lauterbach überrascht haben. Er wolle „mit diesen völlig verrückten Plänen das bewährte Apothekensystem gänzlich zerstören“, hielt ihm Overwiening vor. Seine Vorschläge seien Leistungskürzungen durch die Hintertür und würden das Apothekensterben noch weiter befeuern. Das war ein standespolitischer „Doppelwumms“ mit mindestens 100 Punkten auf der Emotionsskala. Leider aber recht dürftig auf der sachlichen Ebene. Da war noch nicht einmal ansatzweise zu erkennen, dass man sich inhaltlich ernsthaft mit den Vorschlägen auseinandersetzen wollte. Die freilich zum Teil unausgegoren waren und einiges an Nachjustierung bräuchten – Stichwort interne Konkurrenz zwischen Voll- und Light-Apotheken.

Aber das Urteil war quasi schon gesprochen, bevor der „Angeklagte“ überhaupt seine Argumente vorgetragen hatte. Und eines davon war wirklich handfest: „Damit greife ich doch Punkte auf, die Sie auf vorangegangenen Apothekertagen selbst gefordert hatten“, entgegnete Lauterbach. Das Argument verpuffte ungehört, weil die Regie längst beschlossen hatte, seine Pläne rigoros abzulehnen. Es hätte nur ein Skript für die Ansprache gegeben, das mit Beifall goutiert worden wäre: „Ja, ihr bekommt mehr Geld. Und nein, sonst wird sich in eurem hyperregulierten Biotop nichts ändern.“

Wer setzt hier die Agenda …?

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die (letztlich entscheidende) politische Ebene. Geradezu absurd waren die Forderungen im Anschluss an Lauterbachs Rede, sich seine Agenda nicht aufdrücken zu lassen. Um es ganz klar zu sagen: Weder die ABDA, noch die Delegierten des deutschen Apothekertages noch der Kaiser von China bestimmen die Agenda der deutschen Gesundheitspolitik! Deren Rahmen legt der Bundesgesundheitsminister fest, und wenn er für seine Pläne eine gesetzgeberische Mehrheit hinter sich bringt, dann können wir gleichzeitig streiken, hüpfen und kreischen – es wird nichts ändern. Außerdem stehen weit schlimmere Drohszenarien im Raum als das, was Karl Lauterbach in Düsseldorf vorgeschlagen hat: ein Ausbau des Versandhandels etwa, die Öffnung für Fremdbesitz sowie andere Grausamkeiten.

Mehr als durchsichtige Schwarzmalerei

Mindestens genauso interessant sind die Quellen, auf die Lauterbach seine Reformvorschläge stützt: Zum einen beruft er sich auf die Zahlen von Destatis. Zum anderen hat er das direkte Gespräch mit Apothekern gesucht, um sich selbst ein Bild von der Branche zu machen. Das sind schallende Ohrfeigen für die ABDA, denn letztlich lautet die Botschaft dahinter: Ich traue euch und euren Zahlen nicht! Zwar hat Lauterbach von Claudia Korfs Vortrag zur betriebswirtschaftlichen Bilanz für das 1. Halbjahr 2023 zum Glück nichts mitbekommen – denn das hätte ihn in seinem Misstrauen zusätzlich bestätigt: Die ABDA-Chefökonomin legte ihren Fokus voll und ganz auf das einkommensschwächste untere Drittel im Apothekenmarkt und beschwor den Niedergang der deutschen Apotheken in den dunkelsten Schwarztönen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ja, es gibt eine wachsende Zahl an Apotheken am unteren Ende, denen die Luft ausgeht. Diese zum repräsentativen Maßstab für die gesamte Apothekerschaft zu erheben, ist aber problematisch und letztlich nichts anderes als der Versuch, Politik und Öffentlichkeit mit Teilwahrheiten zu beeindrucken. Glauben wir ernsthaft, dass Karl Lauterbach auf so etwas hereinfällt …?

Mit denen lohnt es sich überhaupt nicht zu reden ...

Was wird der Bundesgesundheitsminister als Erkenntnis für sich aus seinem virtuellen Auftritt auf dem Deutschen Apothekertag 2023 mitnehmen? Im besseren Fall die Erkenntnis: „Die Apotheker wollen nur eines – mehr Geld. Ansonsten soll möglichst alles so bleiben, wie es immer war. Strukturelle Veränderungen oder gar tiefgreifende Reformen lehnen sie reflexartig ab.“

Im schlechteren Fall fällt sein Fazit deutlich unvorteilhafter aus: „Mit denen lohnt es sich überhaupt nicht zu reden. Die sind sowieso immer gegen alles. Selbst wenn ich ihnen morgen das vorschlage, was sie heute lautstark fordern, werden sie dagegen protestieren. Also stelle ich meine Ohren am besten auf Durchzug und mache mein eigenes Ding!“

Ernsthaft zu erwarten, dass Lauterbach angesichts der für November angekündigten Proteste von seiner Linie abrücken und einknicken wird, ist realitätsfremd und zeugt von einiger Selbstüberschätzung.

Genau hinhören lohnt sich

Aus Lauterbachs spärlichen Aussagen zur geplanten Honorarreform lassen sich drei Erkenntnisse ableiten:

  • Er hält Apotheker – wie niedergelassene Ärzte auch – für auskömmlich vergütet. Sein Vergleich mit Pflegekräften mag hinken, 166.000 € Durchschnittsgewinn (Stand 2022) erscheinen ihm (und anderen auch) aber alles andere als spärlich.
  • Dienstleistungen in Apotheken sind für ihn unterbezahlt.
  • Die reine Arzneimittelabgabe ist für ihn hingegen eher zu üppig bemessen.

 

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2023; 48(20):10-10