Künftige Rollenfindung der Apotheken

Unser Beruf gehört auf die Couch


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Brauchen Apotheker tatsächlich eine berufssinnstiftende Psychoanalyse, weil sie sich als 5. Rad am Gesundheitswagen fühlen – fremdbestimmt geduldet, von vielen Seiten bedroht und geneidet…? (© AdobeStock/Svitlana)

Was haben Lokführer bzw. „Triebfahrzeugführer“ und Apotheker gemein? Beide werden händeringend gesucht und in großer Zahl ausgebildet – obwohl sich rein nüchtern-technisch betrachtet deren Ersetzbarkeit durch automatisierte Systeme längst abzeichnet. Während die Tätigkeit von Lokführern sowie einigen Lokführerinnen klar umrissen ist und kaum weiterer Erklärung bedarf, stellt sich die Situation für die vielen Apothekerinnen und dafür weniger Apothekern wesentlich vielschichtiger dar. Zwar ist die „ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln“ ein klar definierter Auftrag, betont aber sehr stark den logistischen Part. Und so fangen wir mit dem Äußeren an.

Apotheken werden als Einzelhandelsgeschäfte wahrgenommen, und das sind sie ja auch. Man wird an einem „Handverkaufstisch“ bedient. Üblicherweise spielt sich das im Stehen, sowie – Diskretionsabstand hin oder her – coram publico ab. Und was dort abläuft, bewegt sich, abseits des logistischen und immer ausgreifenderen bürokratischen Parts, zwischen anekdotischer Prosa, Geschichten aus dem (Apotheken-)Paulanergarten bis hin zu existenzielle Fragestellungen berührender Beratung auf höchstem Level. So manch Lebensgeschichte findet indes beim Friseur den angenehmeren Rahmen, sitzt man dort doch bequem für eine beträchtliche Zeit. Seelen- und Haarpflege in einem, und bei den heute aufgerufenen Preisen müssen sich Friseure kaum hinter den akademischen Seelenklempnern verstecken.

Bei uns ist fast alles im Warenpreis inkludiert, spielt sich dafür aber zeitlich meist gerafft und eben, wenn schon nicht zwischen Tür und Angel im Notdienst, so wenigstens an einem gepflegten Tisch ab. Nur – das Händlerambiente bleibt, mit einer Prise „Tante-Emma-Laden“ (da verkaufte man auch über den Tisch), Kleinkrämerei und dem Nachzählen von Centbeträgen an der Kasse. Akademisches Feeling kommt da nicht auf. Gäbe es doch wenigstens Schalter oder gar einzelne, abgetrennte Sprechzimmer, in welche man als Kunde aufgerufen wird, wie beim Arzt oder auf dem Amt! Allein das würde den Beruf, der sich als Heilberufler in starker Beratungsfunktion sieht, schon stark aufwerten.

Und so erklärt bereits dieses äußere Setting so manche berufspsychische Narbe und verfestigte Minderwertigkeitsgefühle, die einfach nicht weichen wollen. Nicht wenige fühlen sich als „5. Rad am Gesundheitswagen“, fremdbestimmt geduldet, von vielen Seiten bedroht und geneidet, im wirklichen Zentrum der Medizin nie angekommen, sondern stets massiv kompetenzbeschnitten beim Wirken für den Patienten.

Man tröstet sich mit Nebenkriegsschauplätzen und dem Mücke-Elefanten-Spiel – Kleinigkeiten werden maßlos überhöht. Das soll den Seelenschmerz mindern, führt aber bei der Kundschaft auch rasch zur Verfestigung eines Bildes von Überpeniblen und Kleingeistern. Erinnert sei nur an das Trara um die „Pille danach“ als OTC-Präparat und den daran anschließenden Fragenkatalog, der in seiner Stringenz und Detailgenauigkeit selbst Untersuchungsrichter neidisch werden ließ. Nichts mit „Over the Counter“! Bei Cannabis wäre es ähnlich gelaufen, dito den PDE-5-Hemmern. Diese Kelche sind einstweilen vorübergegangen.

Man kämpft um Labor, Prüfvorschriften und skurrile Eigenheiten. Man blickt argwöhnisch auf Mitarbeitende wie PTA, die sich anschicken könnten, die eine oder andere Vertretungsfunktion zu übernehmen. Der Versand wildert massiv im ehemals so sorgfältig austarierten Apotheken-Biotop, Abgabeautomaten, die Funktionalitäten des Internets und jetzt noch die künstliche Intelligenz rütteln an den Apothekentüren. Die Psycho-Diagnose lautet: Nicht gefestigte (Berufs-)Persönlichkeit in der Sinnkrise mit Erschöpfungs- und depressiven Symptomen, aber auch mit Anflügen von kognitiver Dissonanz, kenntlich an der Differenz von Fremd- und Eigenwahrnehmung.

Im Jahre 2023 ist der Apothekerberuf immer noch – oder jetzt erst recht – auf der Sinnsuche. Er erscheint angeschlagen und gehört tatsächlich auf die Couch, um systematisch neu aufgebaut und gestärkt zu werden. Revitalisierung oder Niedergang. Ehrliche Selbsterkenntnis und Vergangenheitsbewältigung sind dabei erste Schritte auf dem Weg zur Besserung, auch beim Honorar.

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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