Lorenz Weiler
Lohnt sich das Cardlink-Verfahren per Smartphone-App, auf dem die Hoffnung der niederländischen Versender liegen, auch für die Vor-Ort-Apotheken? (© Imago /Funke Foto Services)
Apothekeninhaber, die den als „Versenderlösung“ propagierten neuen E-Rezept-Einlöseweg des Cardlink-Verfahrens bis heute nicht kennen, schlafen vermutlich auf dem Baum. Wer ihn kennt, schläft möglicherweise schlecht bis gar nicht mehr – zumindest seit DocMorris und Shop-Apotheke im April mit großem Werbegetöse begonnen haben, ihren Kunden das Einlösen von E-Rezepten via App und Cardlink schmackhaft zu machen.
Breitbeinig kündigte bereits im März die „Gesellschaft für digitale Services der Apotheken mbH“ (Gedisa) an, für die Kunden der Vor-Ort-Apotheken einen ähnlich bequemen Einlöseweg realisieren zu wollen. Dereinst aus dem „Corona-Impfportal“ hervorgegangen und am 11.11.2021 von 16 der 17 bundesdeutschen Landesapothekerverbänden gegründet, bestätigte die Gedisa vor wenigen Tagen, dass ihre „standeseigene Cardlink-Plattform“ noch im August in Betrieb gehen soll. Bestellungen werden seit Juni entgegengenommen.
Investieren in eine Übergangstechnologie?
Schenkt man allerdings den Aussagen vonseiten der Gematik Glauben, dann wurde und wird hier gerade viel Geld von den Mitgliedern eingesammelt, nur um am Ende in eine „reine Übergangstechnologie“ zu investieren. So formulierte es die zuständige Abteilungsleiterin für Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium, Susanne Ozegowski. Denn spätestens im 2. Quartal 2026 soll die Cardlink-Technik wieder in der Versenkung verschwunden und vollständig von der bereits heute in vielen Krankenkassen-Apps verfügbaren Gesundheits-ID abgelöst worden sein.
Dass der Wille der Gematik nicht zum Naturgesetz taugt, zeigen die bis heute bei 1 % vor sich hin dümpelnden Nutzerzahlen der von ihr verantworteten E-Rezept-App. Auch aus den folgenden Gründen könnte sich der Glaube an eine „Übergangstechnologie“ als naiv erweisen:
Beide großen Hollandversender werden alles daransetzen, den Vorgang „Karte ans Handy halten“ in das Verhaltensrepertoire der deutschen E-Rezept-Kunden „hineinzuhämmern“.
Spätestens seit Einführung der Stecklösung gehören E-Rezept, Apotheke und eGK in den Köpfen der Patienten fest zusammen.
Die Registrierung einer Gesundheits-ID und deren Nutzung auf dem Handy, insbesondere für mehrere Familienmitglieder, ist alles andere als trivial.
Plattformen wie gesund.de und ia.de versprechen mit ihren massiven Werbebudgets zwar eine gewisse Neukundengewinnung, lassen sich aber am Ende auch noch dafür bezahlen, die wertvollen Bestandkundenkontakte der Apotheken selbst zu übernehmen!
Praxistipp: Apoguide als „Versuchsballon“
Wenn Sie als Apothekeninhaber oder -leiter noch unschlüssig sind, ob die E-Rezept-Einlösung über das Cardlink-Verfahren für Ihre Offizin relevant ist, dann können Sie erst mal mit der Gedisa-eigenen Patienten-App „Apoguide“ eine Testphase starten. Diese wurde kürzlich mit einer Chat-Lizenz des TI-Messenger Famedly sowie dem Versprechen aufgebohrt, Kernfunktionen des Shopsystems von Ihre-Apotheken.de (Noweda/Burda) zu implementieren. Abgerufen werden können die Chats, Shop- und Rezept-Bestellungen von der Apotheke sodann im noch aus Coronazeiten stammenden mein-apothekenportal.de.
Mehr als eine funktionierende Testumgebung sollten Sie sich von diesem wenig konsistenten Konglomerat aber nicht erhoffen. Um in punkto „User Experience“ einigermaßen mit den Apps der großen Versender Schritt halten zu können, werden Sie wohl einen professionellen Drittanbieter engagieren müssen.
Warten auf Gedisa
Während DocMorris und Shop-Apotheke die Anbindung ihrer Handy-Apps an ihr internes Apothekensystem schnell aus einem Guss realisieren konnten, herrschte in der zersplitterten IT-Landschaft der Vor-Ort-Apotheken erst einmal benebelte Ratlosigkeit.
Denn die für ein vergleichbares System notwendigen und mehrheitlich im Wettbewerb zueinander stehenden Player an einen gemeinsamen Tisch zu bekommen, erschien zu Recht als veritable Herkulesaufgabe. Dass es der Gedisa nunmehr gelungen zu sein scheint, teils konkurrierende Branchengrößen wie Pharmatechnik, Ihre-Apotheken.de, Pharma Privat/Wave, apotheken.de, Apozin, Sanacorp/mea sowie das ARZ Darmstadt hinter sich zu versammeln, ist daher zunächst einmal anerkennenswert. All diese Unternehmen warten nun also auf die für August angekündigte Gedisa-Branchenplattform – die Nutzung der Schnittstellen soll für die Softwarehäuser bekanntlich kostenlos sein – , um dann so schnell wie möglich ihre eigenen Cardlink-Apps für Vor-Ort-Apotheken zu entwickeln.
Was kann das Gedisa- Cardlink Angebot?
Das größte Plus dieses Infrastruktur-Ansatzes liegt darin, dass die Patienten von der Gedisa selbst gar nichts mitbekommen müssen. Vielmehr beschränkt sich deren Rolle auf eine Art „E-Rezept-Abholdienst“, der von den App-Anbietern über ein Software-Development-KIT (SDK) angesprochen werden kann. Dieser Dienst besteht
- zum einen aus einer Variante des u. a. von der Shop Apotheke verwendeten Cardlink-Moduls der Firma e-Health Experts zur Prüfung der Patienten-eGK (einschließlich SMS-Validierung),
- zum anderen umfasst der Abholdienst ein Netzwerk von Partner-Apotheken (siehe Abb. 1), welche die Abholung der E-Rezeptdaten vom Fachdienst für die zuvor ausgewählte Zielapotheke erledigen.
Abb. 1: Funktionsweise des Cardlink-Verfahrens zur E-Rezept-Einlösung
Quelle: Gedisa
Nach erfolgter Cardlink-Autorisierung erhält die Handy-App aus dem Gedisa-Netzwerk den/die E-Rezept-Token und ist anschließend selbst für die gesetzeskonforme Weiterleitung an die zuvor ausgewählte Zielapotheke verantwortlich. Das gilt ebenso für das gesamte Nutzererlebnis am Handy sowie das frei gestaltbare Backend.
Damit kann die Apotheke diese wichtigen Aufgaben einem Drittanbieter anvertrauen, der nachweislich etwas davon versteht, und diesen ggf. auch wechseln. Das kann der eigene AVS-Anbieter ebenso sein wie eine Kooperation oder aber ein unabhängiger Drittanbieter. Immerhin müssen sich potenzielle Anbieter jetzt nicht mehr einzeln als Cardlink-Anbieter oder -Betreiber bei der Gematik akkreditieren: Das übernimmt die Gedisa einmal zentral, was zu einer deutlichen Kostenersparnis führen dürfte.
Was kostet der Spaß?
In die Cardlink-Infrastruktur der Gedisa einbuchen können sich sowohl die Mitglieder der 16 konstituierenden Landesapothekerverbände als auch Nichtverbandsmitglieder. Für Letztere ist eine sog. Basismitgliedschaft direkt bei der Gedisa für derzeit 300 € pro Jahr und Betriebsstätte erforderlich. Die Bindungsfrist beträgt jeweils 12 Monate.
Zu einem Einstiegskurs von 49 € monatlich im „Paket S“ erhält man sodann die Möglichkeit, bis zu 100 von den Endkunden an ihren Mobiltelefonen initiierte Verbindungs-Sessions zur eigenen Apotheke aufzubauen. Während einer solchen maximal 15 Minuten währenden „Transaktion“ können von dem Handy mehrere E-Rezepte von bis zu zehn verschiedenen Personen (eGKs) an die Apotheke gesendet werden.
Rechnet es sich?
Stellt man den im obigen Beispiel jeweils fälligen 49 Cent pro Session einmal das Rezeptvolumen eines typischen Chroniker-Ehepaares gegenüber, so scheint dies auf den ersten Blick recht günstig. Schließlich müsste man ansonsten befürchten, Umsatz und Kunden u. U. dauerhaft an den Versandhandel zu verlieren. Überdies wird es oberhalb von 100 Sessions noch günstiger, denn jede weitere Transaktion schlägt ab dem nächstgrößeren Paket M nur noch mit 10 Cent zu Buche. Andererseits wird man mit Sicherheit auch einige abgebrochene Kunden-Sessions ohne Umsatz von der Gedisa in Rechnung gestellt bekommen – sei es durch umständliche Nutzerführung, nicht lesbare eGKs oder einfach, weil die Patienten nur gucken wollen, was auf der Karte ist und dann ggf. doch woanders ordern. Man mag nun darüber streiten, ob Grenzkosten von 10 Cent pro SMS marktgerecht sind. Die viel wichtigere Frage ist jedoch die nach dem eigentlichen Ziel der ganzen Cardlink-Übung.
Was genau ist das Ziel?
Eine Entscheidung für oder gegen Cardlink sollte nicht auf der Kostenseite, sondern viel mehr auf der Nutzenseite gefällt werden. Der Blick fällt dann zuvorderst auf drei ähnlich lautende Ziele: Kundengewinnung, Kundenbindung und Kundenwerterhöhung. In Zeiten, in denen sich der Versandhandel gerade erst anschickt, den Apotheken die besten Kunden – die Chroniker – abspenstig zu machen, ist klar, dass die höchste Priorität der Kundenbindung zukommt! Damit sind Plattformen wie gesund.de und ia.de von vornherein raus: Sie versprechen zwar durch Suchmaschinenpräsenz und massive Werbebudgets eine gewisse Neukundengewinnung, lassen sich aber am Ende dafür bezahlen, die wertvollen Bestandskundenkontakte der Apotheken selbst zu übernehmen! Den so ihres wertvollsten Kapitals Entäußerten hilft dann auch keine Flatrate von 99 € „ohne zusätzliche SMS-Gebühren“, wie sie z. B. gesund.de (on top auf die monatlichen 199 € Basisgebühr!) für ein Cardlink-Upgrade in den Ring geworfen hat!
Braucht jede Apotheke eine eigene Cardlink-App?
Das Gebot der Stunde lautet also Kundenbindung, Kundenbindung und nochmals Kundenbindung. Ob sich das Investment in Gedisa und die Cardlink-Lösungen der Drittanbieter für eine Apotheke am Ende lohnt, wird man daran messen können, ob einem in zwei bis drei Jahren die Chroniker geblieben sind, oder aber in großer Zahl von Günther Jauch fortgelockt wurden. Hierfür ist es unabdingbar, dass der Apotheke offline wie online der Kundenkontakt, die Kaufhistorie samt zugehöriger Kommunikation und damit der gesamte „Customer Lifetime Value“ weiterhin selbst gehört und die eigene Marke und Unternehmenskultur das Nutzererlebnis dominiert!
Damit ist aber nicht nur jede Plattform raus, sondern auch ein so fragmentiertes und bar jeden Marken-Appeals daherkommendes Produkt wie die Apoguide-App der Gedisa. Bleibt also am Ende doch nur die apothekeneigene App als Alternative? Aus Marketinggründen empfiehlt sich das in der Tat, denn lieber investiert man Zeit und Nerven, um Oma Schmidt mal wieder eine neue App aufs Handy zu installieren, wenn dafür anschließend das eigene Apothekenlogo auf deren Homescreen prangt.
Entsprechende Angebote am Markt – bisher noch ohne Cardlink – gibt es schon länger: Das beginnt bei der individuellen App von apotheken.de, der vom Großhandelsverbund Pharma Privat finanzierten, relativ kostengünstigen Wave-App und geht über die zuletzt etwas angestaubt daherkommende Lösung Apozin bis hin zu der relativ neuen, in punkto Konfiguration und Preis recht freidrehenden Software-Suite „brry“. Letztere ist ein Spin-off der rheinischen Maxmo-Apothekengruppe, die nach eigener Auskunft auch ohne Gedisa auskommt.
Fazit und Empfehlung
Die Gedisa Cardlink-Initiative erscheint durch die Bündelung eines Cardlink-Moduls mit einem cloudbasierten E-Rezept-Abrufservice zunächst einmal als ein vernünftiger Ansatz, um den Apotheken die Kosten von Doppelentwicklungen bei den App-Anbietern zu ersparen. Das sehen im Übrigen auch fast alle gestandenen IT-Branchenexperten so.
Sollte man als Apothekeninhaber also sofort unterschreiben, um im Wettbewerb gegenüber DocMorris & Co. nicht ins Hintertreffen zu geraten? Eher nein. Mindestens bis August bzw. bis zu dem Termin, an dem die Gedisa bewiesen hat, dass sie das Projekt auch performancemäßig stemmen kann, ist keine Eile geboten. Klug wäre es aber, die verbleibende Zeit zu nutzen, um sich mit den unterschiedlichen Ansätzen der oben genannten App-Anbieter auseinanderzusetzen. Denn wer A sagt, der sollte dann besser auch B sagen – und nicht ein weiteres Mal A wie Apoguide.
Lorenz Weiler, Apotheker und Dipl. Kulturwissenschaftler, Geschäftsführer der Freezept GmbH, 30966 Hemmingen, E-Mail: lorenz.weiler@freezept.de
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