Die Automaten-Apotheke als Denk- und potenzielles Geschäftsmodell

Eine preiswerte Versorgungslösung?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Für viele ist es die Horrorvorstellung: Eine Automaten-Apotheke ohne Personalbesetzung. Hatte man nicht einst in Hüffenhardt eine solche seinerzeit von DocMorris weggeklagt? Zeiten ändern sich, und klugerweise denkt man auch ein Automationsszenario zumindest einmal durch.

Ist die Automatenapotheke eine preiswerte Versorgungslösung oder doch nur blanke Horrorvorstellung?
(Quelle: AdobeStock_Carlostock)

Mögen noch Paragrafen davor sein – die Ideen zur Apothekenreform aus dem Bundesgesundheitsministerium zeigen, wie schnell „Undenkbares“ auf den Tisch kommt.

Wir erinnern uns: Schon um 2010 sorgte die „Cobox“ einer gleichnamigen Firma für Aufregung. Sie konnte nicht Fuß fassen. Es handelte sich lediglich um eine Videokabine, gern in anderen Ladenlokalen untergebracht. Die Ware wäre erst später per Boten oder Versandlogistiker zugestellt worden. Die Firma ging in die Insolvenz.

Der „Hüffenhardt-Automat“ von DocMorris hatte auch eine Warenausgabe vor Ort – neben einer Video-Beratungsfunktion. Er scheiterte seinerzeit am rechtlichen Rahmen. Doch der lässt sich ändern …

Was Automaten (alles noch nicht) können

Automaten-Apotheken – stand-alone abseits von klassischen Apotheken – wären auf heutigem Technikstand Lagerroboter mit einem Kunden-Bedienterminal und der Möglichkeit, per Videotelefonie Kontakt zu Pharmazeuten aufzunehmen. Neben der Lagerfläche würde also ein mehr oder weniger großzügiger Kundenraum benötigt werden. Eine solche Automaten-Apotheke könnte insoweit sicher 90 % der heutigen Produktanforderungen abdecken. Wie in der stationären Apotheke müsste einiges nachgeliefert werden, entweder an die Ausgabestelle oder per Boten. Absehbare Probleme gibt es jedoch an folgenden Stellen:

  • Rezepturen und Anmessen (das betrifft aber weniger als 1 % der Kunden),
  • kompliziertere Beratungssituationen, die ein hohes Maß an Anschauung und Interaktion voraussetzen,
  • Handling nicht automatengängiger Ware sowie schwieriger Versorgungssituationen, welche u. a. Rücksprachen mit Ärzten erfordern,
  • das persönliche Erklären und Demonstrieren von Anwendungen (z. B. Inhalator-Schulung),
  • komplexe Medikationsberatung,
  • Lösen schwierigerer Situationen bei der patientengerechten Auswahl von OTC-Präparaten.

 

Daher werden erhebliche personelle Backup-Kapazitäten in der betreibenden Hauptapotheke für die Video-Beratung und Freigabe benötigt. Grundsätzlich müssen wir zwischen „dummen“ (= heutiger Stand) und „intelligenten“ Automaten unterscheiden (Abbildung 1).

Abb. 1: „Dumme“ vs. „schlaue“ Automaten

Bei letzteren würden große Teile der Auswahl der richtigen Präparate, Wechsel- und Nebenwirkungs-Checks sowie standardisierbare Beratungssituationen durch die Maschine erledigt. Dies ist technisch lösbar, setzt aber zertifizierungs- und zulassungspflichtige (Software-)Systeme mit einem hohen Entwicklungsaufwand, geschätzt im dreistelligen Millionenbereich, voraus.

Gemäß dem Henne-Ei-Problem wird dieser Aufwand dann getrieben, wenn ein (internationaler) Massenmarkt winkt. Der Markt wird aber erst entstehen, wenn es ausgereifte Angebote gibt. Die Markteintrittshürden sind also hoch, wenn es über die reine Logistikfunktion heutiger Lagerautomaten hinausgehen soll.

Alternativ braucht es teure Personalkapazitäten, nur eben auf die Ferne. Eine Videofunktion mit eigenem Kundenraum macht gerade bei den Kosten einen entscheidenden Unterschied. „24/7 rund um die Uhr“, ja ein schlagendes Argument für Automaten, wird dann schwierig oder nur über zentralisierte Strukturen („Callcenter“) mit allen Folgeproblemen darstellbar.

Und die Wirtschaftlichkeit?

Selbst ein „dummes“ System, basierend auf den heutigen Lagerautomaten plus Frontend plus umbauter Raum, inklusive Sicherheits- und Kommunikationstechnik, Schutz vor Diebstahl und Vandalismus u. a. m. dürfte kaum unter 200.000 € Gesamtkosten zu haben sein, plus Warenlager, welches mit 60.000 € realistisch-zurückhaltend angenommen wurde.

 

 

Eine solche Einrichtung muss „bespielt“ werden, sprich eine laufende Ergänzung der Warenbestände sowie die (Kundenraum-)Pflege, Wartung und Instandhaltung. Die benötigte Fläche wurde mit 40 qm angenommen, welche ggf. „Shop-in-Shop“ in andere (Laden-)Geschäfte integriert werden könnte. Ein „intelligentes“ System mit einem erweiterten Leistungs- und Warenspektrum dürfte weitaus teurer (hier mit dem Doppelten angenommen) ausfallen.

Entscheidend sind am Ende die Kosten je Kunde, was namhaft von deren Zahl abhängt. Beim „dummen“ System sollen 80 % der Kunden (beinahe alle außer „Freiwahl-Kunden“) eine im Schnitt 5 Minuten dauernde Beratung brauchen, mit angenommenen Kosten von 1,00 € je Minute. Fernberatungen sind, ehe man auf den Punkt kommt, eher zeitaufwändiger.

Für 20.000 Automaten-Kunden pro Jahr müsste man dafür schon gut eine Vollzeitstelle in der betreibenden Apotheke vorhalten. Bei einer „intelligenten“ Variante wird nur noch in wenigen Fällen – dann aber aufwändiger – eingegriffen werden, und es reicht vielleicht ein Drittel der Personalkapazität. Ganz ohne (Beratungs-)Personal dürfte es absehbar selbst dann nicht gehen.

Bei lediglich 10.000 Kunden jährlich liegen die spezifischen Automaten-Kosten je Kunde weit über denjenigen einer Präsenzapotheke mit im Schnitt 10 € bis 11 €. Bei knapp 20.000 Kunden kommen wir etwa auf pari. Erst darüber sinken die Kosten signifikant unter die Werte von Offizinapotheken, auch bei der „klugen“ Variante.

Dann beginnen sich gerade in der „Automaten-Emma“ Kapazitätsfragen zu stellen: Reicht ein „Bedienplatz“? Wie schaut es dann mit Raumgröße, Diskretion etc. aus? Sicher alles Auslegungsfragen, die jedoch in die Wirtschaftlichkeitsrechnung eingehen. Und von 40.000 Kunden kann bereits eine Präsenzapotheke existieren.

Fazit

Perspektivisch ist die Automatisierung ein Thema, denn die grundlegenden Apothekentätigkeiten im Alltag sind nun einmal zu großen Teilen automatisierbar. Machen wir uns da nichts vor!

Der Weg dahin ist aber weiter als vielleicht gedacht. Bis wirklich sichere, zudem auf Kundenakzeptanz stoßende, „intelligente“ Systeme erschaffen werden, wird es noch eine ganze Weile dauern. Zeit also, sich auf nicht-automatisierbare Zukunftsausgaben einzurichten. Zudem ist die entscheidende Frage, wer dann eigentlich die Automaten mit welchen Regeln betreibt. Erinnern Sie sich noch an die Geschichte von „Alfred und Erwin“ im AWA 5/2024, Seite 5?

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

 

 

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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(16):4-4