Apotheken-Reformgesetz biegt auf die Zielgerade ein

Wer nicht kämpft, hat schon verloren


Dr. Bettina Mecking, M. M.

Während die Teillegalisierung von Cannabis bisweilen merkwürdige „Blüten“ treibt, drückt das BMG die Überwachung dubioser Online-Anbieter an die Länder ab, wohlwissend, dass viele Plattformen ihren Sitz im Ausland haben. Definitiv nicht delegierbar ist indes die Verantwortung für das Apotheken-Reformgesetz (ApoRG), das voraussichtlich am 21. August im Bundeskabinett zur Beratung steht. Wird es verabschiedet, bleibt als letzte Hoffnung noch der Bundesrat.

Wer nicht kämpft, hat schon verloren, bevor der Kampf überhaupt richtig losgegangen ist – das gilt auch für das Apothekenreformgesetz. (© AdobeStock/Sergey Nivens)

Seit April dieses Jahres steigt die Nachfrage nach Medizinal-Cannabis – insbesondere bei Selbstzahlern, die offensichtlich eher zu Genuss- als zu medizinischen Zwecken konsumieren. Spezielle Online-Plattformen stellen für eine geringe Gebühr Privatrezepte für Cannabisblüten aus – gegen alle möglichen Krankheitsbilder. Diese Anbieter haben vor allem den schnellen Gewinn im Blick, die sichere Versorgung der Patienten ist nachrangig. Die Seitenbetreiber haben ihren Sitz – ebenso wie die telemedizinisch zugeschalteten „behandelnden“ Ärzte – oft im Ausland, was den rechtlichen Zugriff erschwert, aber nicht unmöglich macht.

Bei diesen Online-Rezeptplattformen werden im großen institutionellen Stil die fachlichen und medizinischen Standards für Telemedizin missachtet: Wie bei einem Pizzaservice kommen die Kunden schnell und unkompliziert an Medizinal-Cannabis. Damit wird eine Cannabis-Regelversorgung jenseits der Arzneimittelzulassung sowie eine Parallel-Versorgung für Patienten etabliert, obwohl es andere Therapieoptionen mit zugelassenen Arzneimitteln gibt.

Klage der AKNR gegen Bloomwell

So entstehen rund um die telemedizinische Cannabis-Verordnung immer neue Geschäftsmodelle. Ein Anbieter, der schon länger in der Kritik steht, ist die Cannabis-Plattform Bloomwell, die herkömmliche Strukturen wie Arzt- und Apothekenbesuche systematisch umgeht. Eine unlängst bekanntgewordene interne Präsentation zeigte, welche fragwürdigen Leistungen das Unternehmen seinen Cannabis-Händlern anbieten wollte, um mehr Blüten an Patienten zu verkaufen.

Im Mittelpunkt stehen drei Optionen der Behandlung: Wählt man die günstigste, dann kann man das insoweit ausgestellte Rezept nur in einer der vertraglich verbundenen Apotheken einlösen, die für die Übermittlung von Rezepten eine vertraglich vereinbarte Gebühr entrichten. Eine freie Wahl ist nur möglich, wenn man den teuersten Tarif wählt. Dagegen hat die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) aufgrund vielfacher Beschwerden Anfang August 2024 Klage beim Landgericht Frankfurt eingereicht.

Auch die Wellster Group ist mit der erst kürzlich online gegangenen Plattform „goeasy.de“ in den Vertrieb von medizinischem Cannabis eingestiegen. Die zahlreichen laufenden Rechtsverfahren gegen das bereits bestehende Plattformgeschäft scheinen noch nicht genug zu sein.

Das Verfahren des Verbands Sozialer Wettbewerb gegen die Wellster Healthcare Group GmbH hat über das druckfrische Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) München vom Juni 2024 (Az.: 29 U 1824/23e) und die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde (Az.: 1 ZR 118/24) zwischenzeitlich den Bundesgerichtshof (BGH) erreicht.

Aus Sicht der OLG-Richter verstößt es gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG), den Verkauf verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach Ausfüllen eines Fragebogens zu bewerben. Eine Revision wurde nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. Wenn sich beim BGH (hoffentlich) bald die Erkenntnis durchsetzt, wie schnell sich solche Plattformen gerade ausbreiten, ist möglicherweise eine Grundsatzentscheidung fällig.

Das Bundesgesundheitsministerium will erklärtermaßen die Folgen der Teillegalisierung von Cannabis gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und dem GKV-Spitzenverband „sehr genau beobachten und auswerten“. Die Angebote im Einzelfall zu überwachen oder zu überprüfen, sei jedoch Aufgabe der zuständigen Aufsichtsbehörden in den Ländern, so das BMG. Dieser Hinweis läuft jedoch ins Leere, wenn eine Plattform ihren Sitz im Ausland hat.

Darüber hinaus wird aus dem BMG darauf hingewiesen, dass auch Apotheker in diesem Kontext Verantwortung tragen. Gemäß § 17 Absatz 8 Apothekenbetriebsordnung sind sie nämlich verpflichtet, einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegenzutreten. Eigentlich unfassbar, dass hier einmal mehr die Apotheker dafür in die Verantwortung genommen werden, dass an anderer Stelle – Stichwort Online-Plattformen für Cannabis – etwas völlig aus dem Ruder läuft. Dabei sollen vollwertige Vor-Ort-Apotheken in dem „Light-Apotheken“-Modell des BMG künftig doch mancherorts ganz verzichtbar sein …

Das Einzelkämpferdasein ein Stück weit aufgeben

Während in ungewissen Zeiten manche davon träumen, ihre Apotheke als GmbH mit beschränkter Haftung führen zu dürfen, versuchen andere, kreativ mit der einzigen Gesellschaftsform umzugehen, die derzeit für Apotheken erlaubt ist. Bekanntlich dürfen mehrere Personen eine Apotheke auch in der Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) betreiben (§ 8 ApoG).

Das Interesse am OHG-Modell ist zuletzt größer geworden. Angesichts der immer komplexer werdenden Anforderungen ist es durchaus eine bedenkenswerte Option, die Verantwortung für die Führung einer Apotheke auf mehrere Schultern zu verteilen, zumal auch der wirtschaftliche Druck zunimmt. Zudem wächst die Zahl an Filialverbünden, was natürlich auch die Kaufpreise der entsprechenden Betriebe nach oben treibt: Das kann von einer Einzelperson vielfach nicht mehr gestemmt werden. Insofern ist es nur konsequent, das Einzelkämpferdasein ein Stück weit aufzugeben und sich Partner zu suchen.

Die Regelungen zu Filialen und OHGs werfen in ihrem Zusammenspiel einige rechtliche Fragen auf. Eine Apotheken-OHG kann eine Hauptapotheke und drei Filialapotheken betreiben, unabhängig davon, wie viele Apotheker Gesellschafter sind. Dabei kann ein OHG-Gesellschafter zugleich auch als verantwortlicher Filialleiter fungieren. (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Mai 2011, Az.: 22 BV 09.2402). Damit entfallen die Kosten für einen externen Filialleiter.

Filialapotheken müssen in benachbarten Kreisen liegen, diese müssen aber nicht aneinander angrenzen. Erst kürzlich hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Urteil vom 8. März 2024 (Az.: 26 K 2364/23) die Erreichbarkeit der Betriebstätten innerhalb von einer Stunde für ausreichend erklärt.

Das BMG möchte mit dem Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) eine noch flexiblere Betriebsführung ermöglichen. So ist laut Referentenentwurf geplant, dass die Entfernung zwischen Haupt- und Filialapotheken maximal drei Stunden Fahrtzeit betragen darf – wobei diese Vorgabe doch sehr weit von der derzeitigen Lebenswirklichkeit in den Apotheken entrückt zu sein scheint. Weiter soll die Leitung einer Filiale in Zukunft auch auf zwei Apotheker aufgeteilt werden können, was weitere Handlungsspielräume eröffnet.

In einer aktuell bekanntgewordenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. August 2024 (Az.: 6 A 522/2) wollten die beiden Inhaber ihre bestehenden Apotheken nicht als Ganzes in ein Gemeinschaftsunternehmen einbringen, sondern nur einen Standort als Filiale im Rahmen einer OHG weiterführen. Die Richter billigten diese gemeinsame OHG-Filiale. Bislang war es nicht vorgesehen, dass Inhaber jeweils eine Erlaubnis als eingetragener Kaufmann und als OHG-Gesellschafter führen.

Die Antragsteller hatten erfolgreich argumentiert, eine Aushöhlung des Fremd- und Mehrbesitzverbots sei nicht zu befürchten, denn auch in ihrem Modell sei gesichert, dass Apotheken nur durch Apotheker betrieben und geleitet würden.

Da jeder Apotheker bis zu drei Filialen betreiben dürfe, müsse es erst recht zulässig sein, dass zwei Apotheker die Verantwortung für ihre eigene Filiale behielten und sich diese für die gemeinsame Filiale teilten. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat das OVG zugelassen.

Letzte Hoffnung Bundesrat

Über all dem hängt das Damoklesschwert des Apotheken-Reformgesetzes. Wenn es mit der Stimmenmehrheit der Koalition zu einem Gesetzesbeschluss des Bundestages kommt, haben noch die Bundesländer über den Bundesrat Einflussmöglichkeiten.

Selbst wenn die Reformpläne als nicht zustimmungspflichtiges sog. „Einspruchsgesetz“ eingebracht werden, sieht das Grundgesetz nach vorheriger Anrufung des Vermittlungsausschusses einen Einspruch des Bundesrates vor.

Zwar ist dieser verfassungsrechtlich vorgezeichnete Weg nur selten (erfolgreich) beschritten worden, aber es gilt, diese Option in den Hinterköpfen der Landesregierungen zu platzieren. Schließlich bewerten diese die Reformpläne des BMG ganz überwiegend kritisch. Denn wer nicht kämpft, hat schon verloren.

 

Dr. Bettina Mecking, M. M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(16):14-14