Prof. Dr. Reinhard Herzog
Hochkosten-Patienten bieten perspektivisch auch Apotheken viel Potenzial für die Zukunft. (© AdobeStock/lovelyday12)
Der Rahmen stellt sich zurzeit in etwa so dar: Die Hochpreisschwelle von 1.200 € zum Herstellerpreis (ApU) überschreiten nur gut 0,7 % der Packungen, nach Wert sind es etwas über 45 % auf Basis des ApU und knapp 40 % zum Netto-Verkaufswert. Viel wichtiger: Diese Hochpreiser stehen für 8 % bis 9 % des Rx-Rohertrages (nicht des gesamten Ertrages, da sind es um 6 %). Absolut reden wir über eine Größenordnung von 40.000 € in einer durchschnittlichen Offizin. Unter den Tisch fallen lassen kann man einen solchen Betrag sicher nicht. Durch das E-Rezept sind diese Spezialpräparate zudem nicht mehr so sehr an eine Lage in einem Ärztehaus gebunden, verteilen sich also breiter.
Verteilungsanalysen zeigen, wie sich die Kosten auf die einzelnen Patienten aufteilen. Auf das teuerste Prozent entfallen etwas über ein Drittel der Kosten für Fertigarzneien, und 2,5 % stehen für die obere Kostenhälfte (bezogen nur auf Personen mit Arzneiverordnungen, welche etwa 77 % aller Versicherten ausmachen, bei Älteren 95 %). Nimmt man die kostspieligen Spezialrezepturen hinzu (Marktvolumen um 6 Mrd. € netto), dann teilt sich der Markt schon bei 1,7 % der Patienten in zwei Kostenhälften, und nicht mal 0,5 % erfordern dann bereits 30 % der Ausgaben.
Die Konsequenz: 100 Patienten bringen gut die Hälfte des Rezeptumsatzes, eine Handvoll schon 10 % bis 20 %. Viele rekrutieren sich dabei aus Krankheiten, die Tabelle 1 mit ihren Prävalenzen in der Bevölkerung zeigt. Das Spektrum reicht von beinahe schon Massenerkrankungen wie Demenzen, Krebs oder auch Schuppenflechte, die sich bis in den Hochkostenbereich steigern können, aber nicht notwendigerweise müssen, bzw. die Kosten fallen anderweitig z. B. in der Pflege (Demenz!) an.
Das zieht sich weiter bis hin zu (äußerst) seltenen Erkrankungen, die, zumindest wenn klinisch auffällig, regelhaft im Hochkostensegment landen, teils mit sechsstelligen Arzneikosten jährlich (Enzym-/Gerinnungsfaktoren-Ersatzpräparate!), oft jedoch noch im fünfstelligen Bereich.
Die Rolle der Apotheke
Rechnen wir das auf etliche Therapiejahre oder gar auf die Restlebenszeit hoch, landen wir nicht selten im Millionenbereich. Schon eine geringfügige Optimierung der Therapie (Dosierung, Applikationsintervalle, Anwendungsart, Patienten-Compliance) hat einen hohen ökonomischen Effekt. Das gilt erst recht, wenn wir zusammen mit den Ärzten echte therapeutische Nachjustierungen IT- und datenbankunterstützt vornehmen. Anzustreben ist künftig eine Betreuungspauschale für diese speziellen Patienten („Hochpreiser-pDL“), nicht nur therapeutisch, sondern im ureigensten Interesse der Kostenträger – denn gegen den Nutzen nehmen sich selbst höhere Betreuungshonorare minimal aus.
Bei Erkrankungen wie Krebs oder Alzheimer kommt zudem der Früherkennung eine immer bedeutendere Rolle zu. Eine enorme Chance für Apotheken, sich hier niedrigschwellig einzubringen! Fast täglich werden neue Tests entwickelt, nicht alle sind unter Evidenz- und Genauigkeitsaspekten bisher befriedigend. Aber die Lernkurve verläuft hier äußerst steil – der Markt wird in einigen Jahren ganz anders aussehen. Daneben haben wir die klassischen Pfade der Krankheitsprävention, bei welchen wir ebenfalls noch viel Potenzial haben. Ein „Gesundes-Herz-Gesetz“ sollte man als Spielball aufnehmen und nicht in andere Tore passieren lassen. Abbildung 1 fasst das Betätigungsdreieck nochmals zusammen.
Abb. 1: Die (künftigen und teils neuen) Rollen der Apotheke
Heutige Ertragsbetrachtung
Die Pro-Kopf-Erträge der teuren Patienten sind in Euro und Cent tatsächlich weit überdurchschnittlich, trotz lausiger prozentualer Spannen (Tabelle 2). Add-ons sind die Begleitmedikation und oft überdurchschnittliche OTC-Käufe. Die jetzige Hochpreiser-Vergütung macht dabei dennoch die Musik. Die enormen Umsätze (= Ausgaben der Kostenträger) illustrieren andererseits, was für ein Potenzial in einer weiter optimierten Betreuung steckt, abzubilden in entsprechenden Zusatzpauschalen. Der typische Durchschnittspatient bringt dagegen nur zwischen 150 € und 250 € Jahres-Rohertrag ein. Selbst Chroniker mit 30 und mehr Rx-Packungen im Jahr (meist Generika) bleiben weit von vierstelligen Erträgen entfernt.
Fazit
Die künftigen Schlachten werden in der Hochkostenmedizin geschlagen. Selbst wenn man es im Moment, sinkende Margen vor Augen, kaum für möglich halten mag – in den Hochkostenpatienten liegt ein perspektivisch attraktives Betätigungsfeld, welches sowohl fachlich-wissenschaftlichen als auch ökonomischen Sachverstand erfordert. Die Apotheken sind von ihren Grundlagen her geradezu prädestiniert. Das Feld muss zweifellos konzeptionell und nachfolgend durch tragfähige Vereinbarungen zum Nutzen aller erst noch bestellt werden. Eine wichtige Vorarbeit besteht darin, Hochkosten-Patienten nicht allein als ökonomische Risikopatienten zu schmähen und so womöglich dem Versandhandel die Tür aufzustoßen – zumal sich die Ertragslage in der Gesamtschau solcher Kunden nicht so schlecht wie oft kolportiert darstellt. Aber es ist noch Luft nach oben – durch neue, auch erfolgsorientierte Vergütungsmodelle. Dennoch: Spezialisieren Sie sich bereits heute! Es sollte sich auszahlen.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(19):4-4