Apothekenbewertung Teil 2: 
Materielle Werte, Risiken und Finanzierungskosten

Kleine Betriebe sind zunehmend unverkäuflich


Oliver Vorberg

Nachdem wir im ersten Teil die Ertragskraft als wichtigsten Faktor für die Wertermittlung einer Apotheke beleuchtet haben, geht es im zweiten Teil um alle weiteren Faktoren, die maßgeblichen Einfluss auf den Unternehmenswert haben. Unbedingt zu berücksichtigen sind der Kapitalisierungszins sowie ein angemessener Aufschlag für das zuletzt gewachsene unternehmerische Risiko. Aus Käufersicht entscheidet schlussendlich die unter dem Strich verbleibende Netto-Liquidität, ob sich ein Apothekenkauf rechnet oder nicht.

Apothekenbewertung: Kleine Betriebe sind zunehmend unverkäuflich
(Photo: AdobeStock_Queenmoonlite Studio)

Neben der Ertragskraft spielen bei der Wertermittlung einer Apotheke noch materielle Werte – das sog. Anlagevermögen – eine wichtige Rolle. Dazu gehören alle Vermögensgegenstände der Apotheke, die dem Geschäftsbetrieb dauerhaft dienen. Durch die Abschreibungen werden Wertminderungen im betrieblichen Rechnungswesen auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer aufgeteilt. Als Beispiel sei hier eine neue Offizineinrichtung im Wert von 180.000 € genannt. Diese würde nicht im Anschaffungsjahr in voller Höhe verbucht, sondern auf die Nutzungsdauer von acht Jahren (gemäß AfA-Tabelle) verteilt. Je Wirtschaftsjahr werden demnach nur 22.500 € verbucht.

Doch Vorsicht! Der Ansatz von Abschreibungen birgt Konfliktpotenzial. Der Verkäufer argumentiert regelmäßig, dass keine Abschreibungen zu berücksichtigen seien, da die Anlagegüter bereits abgeschrieben wären. Der Käufer hingegen möchte die volle Abschreibung geltend machen, da sie für ihn real anfällt. Darüber hinaus muss jede Apotheke, die langfristig erfolgreich am Markt agieren will, in regelmäßigen Abständen Ersatz- bzw. Neuinvestitionen in die Apothekeneinrichtung tätigen. Das objektivierte Gutachten trägt diesem Interessenskonflikt Rechnung, indem Abschreibungen auf Reinvestitionen zu 50 % angesetzt werden.

Der Kaufpreis einer Apotheke wird meist nicht aus dem Sparstrumpf beglichen, sondern mittels Bankdarlehen finanziert. Die ausschließlich geschäftlich veranlassten Fremdfinanzierungskosten in Form von Zinsen, Disagio etc. sind bei der steuerlichen Gewinnermittlung als Betriebsausgaben abzugsfähig. Gegenwärtig wird der Kauf einer ertragsstarken Apotheke von branchenkundigen Banken bei entsprechender Bonität noch immer bis zu 100 % fremdfinanziert. Während das Warenlager regelmäßig mit einem mittelfristigen Darlehen über 5 bis maximal 10 Jahre finanziert wird, werden für die Einrichtung sowie den Firmenwert längerfristige Darlehen (beispielsweise über 15 Jahre) aufgenommen.

Der Zeitwert des Geldes

Ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenswertermittlung ist der sog. „time value of money“. Darunter ist zu verstehen, dass heute verfügbares Geld insofern „wertvoller“ ist als ein zukünftiger Betrag, weil man dieses zinsbringend anlegen kann. Demgemäß sind die korrigierten zukünftigen Jahresüberschüsse der Apotheke auf den Bewertungsstichtag abzuzinsen, um zu bestimmen, was zukünftige Erträge zum Zeitpunkt der Kauf- bzw. Verkaufsentscheidung wert sind. Der sog. Kapitalisierungszins repräsentiert dabei die objektivierte Renditeerwartung an eine der Apotheke vergleichbare Alternativinvestition. Sie sollte hinsichtlich Laufzeit, Besteuerung und Risikoprofil äquivalent sein. Die Abdiskontierung der korrigierten Jahresüberschüsse auf den Bewertungsstichtag dient dazu, in der Zukunft anfallende Gewinne vergleichbar zu machen, um deren Gegenwartswert als Grundlage für die Kaufentscheidung heute heranzuziehen.

Der Aufwand, kleinere Apotheken zu veräußern, ist heute ungleich größer als noch vor einigen Jahren, teilweise sind solche Betriebe gar nicht mehr veräußerbar. Zünglein an der Waage sind i. d. R. die Banken, die die Rückzahlung gewährter Darlehen sichergestellt wissen wollen.

Der Kapitalisierungszinssatz repräsentiert die objektivierte Risikoeinschätzung und Renditeerwartung. Um diese abstrakte Größe greifbar zu machen, wird in der Bewertungspraxis regelmäßig auf die Renditeerwartung einer möglichen Alternativinvestition zurückgegriffen. Den Ausgangspunkt bildet der sog. Basiszins, der die Rendite einer (quasi-)risikofreien Kapitalmarktanlage – zum Beispiel eine langfristige Staatsanleihe der Bundesrepublik Deutschland – simuliert. Diese tagesaktuell verfügbaren Werte werden auf der Seite der Deutschen Bundesbank veröffentlicht. Verwendet werden die Daten für Wertpapiere mit einer Laufzeit von 30 Jahren. Diese sind auf halbe Prozent auf- oder abzurunden.

Grundsätzlich sind jedoch nicht die Bruttorenditen, sondern vielmehr die Nettoerträge, die zufließen, von Interesse. Daher ist der Basiszinssatz um die Abgeltungsteuer inklusive Solidaritätszuschlag zu mindern.

 

Maßstäbe von gestern taugen nicht für die Risiken von heute

In alten Gutachten, die vor 15 bis 20 Jahren erstellt wurden, war häufig ein Kapitalisierungszins i. H. v. 12,5 % (brutto) zu finden. Netto, also reduziert um Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag (in toto 26,375 %), entspricht dies einem Kapitalisierungszins von 9,2 %. Allerdings waren die Rahmenbedingungen damals ganz andere: Der Markt war ebenso am Wachsen wie die Zahl der Apotheken, und die Erträge fielen deutlich höher aus als heute. Vor diesem Hintergrund ist es befremdlich, dass auch heute noch häufig exakt derselbe Kapitalisierungszins wie damals Anwendung findet. Tatsächlich sollte dieser heute deutlich höher angesetzt werden, um die veränderte Risikosituation angemessen abzubilden.

Das unternehmerische Risiko adäquat einpreisen

Während der Basiszins die Rendite einer Investition (fast) ohne Risiko widerspiegelt, erwartet ein Apothekenkäufer für sein unternehmerisches Risiko eine entsprechend höhere Rendite auf das eingesetzte Kapital. Angesichts der Risiken – Stichworte zunehmend schlechtere Rahmenbedingungen, fortschreitende Marktliberalisierung etc. – möchte man als Unternehmer eine den risikofreien Basiszins übersteigende Rendite erzielen. Das „Zusatzrisiko“ soll schließlich entlohnt werden.

Bei der Wertermittlung wird diese Forderung durch den sog. „Zuschlag für unternehmerisches Risiko“ berücksichtigt. In der Bewertungspraxis kleiner und mittelgroßer nicht börsennotierter Unternehmen hat sich hierfür die sog. Zinszuschlagsmethode etabliert. Der Zuschlag berücksichtigt

  • das allgemeine Risiko des regionalen Markts,
  • das Risiko des Apothekenmarkts sowie
  • das individuelle Risiko des Bewertungsobjekts.

 

Die Risikoeinschätzung obliegt dem Gutachter, und die Erfahrung zeigt, dass drei Gutachter zu drei unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Letztlich besteht an dieser Stelle ein gewisser Spielraum des Bewertenden und es kommt auf die Begründung zur Risikoeinschätzung an.

Ein weiterer Zuschlag ist damit zu begründen, dass eine Alternativanlage – etwa am Kapitalmarkt – eine deutlich höhere Mobilität bzw. Liquidierbarkeit aufweist als die Investition in einen Apothekenbetrieb. Während das Aktienpaket einer börsennotierten Pharmafirma in aller Regel auf Tagesbasis wieder veräußert werden kann, erweist sich der Apothekenverkauf als deutlich aufwändiger. Dieser Faktor wird mit einem Immobilitätszuschlag (z. B. 1 %) beim Kapitalisierungszins berücksichtigt.

Rechnerisch wird nun das korrigierte Ergebnis der Planjahre sowie der ewigen Rente abgezinst, so dass jede Phase einen eigenen Wert erhält. Die Summe dieser Werte stellt den Apothekenwert dar. Dabei ist zu beachten, dass der Ertragswert das gesamte Unternehmen inklusive Warenlager und Einrichtung umfasst. Insofern gilt es zu verproben, ob

  • das Warenlager ausreichend groß ist und
  • womöglich ein Investitionsstau vorliegt.

 

Lautete die Empfehlung vor einigen Jahren noch, sich als Verkäufer etwa ein Jahr vor dem geplanten Verkaufszeitpunkt mit der Wertermittlung und Käufersuche zu befassen, so empfiehlt man heute, einen deutlich längeren Zeitraum einzuplanen.

Positiv festgehalten werden kann, dass einige Unwägbarkeiten zuletzt ausgeräumt wurden. So wurde u. a. der Streit um die Tariflöhne beigelegt, und die Erhöhung fiel geringer aus, als von den meisten Experten erwartet. Die flächendeckende Nutzung des E-Rezepts ist zwischenzeitlich zur Routine geworden und der befürchtete Marktanteilsverlust an den Versandhandel im wichtigen Rx-Segment bislang ausgeblieben. Abzuwarten bleibt noch das Apothekenreformgesetz (ApoRG) und seine Auswirkungen auf die Erträge von Apotheken, so es denn überhaupt in Kraft tritt. Aus Sicht der Unternehmensbewertung ist eine solche Reform von hoher Relevanz: Verändert sich dadurch das Betriebsergebnis auch nur um z. B. 15.000 €, kann das den Unternehmenswert schon im hohen fünfstelligen Bereich verändern.

 

Auf die Netto-Liquidität kommt es an!

Bei allen theoretischen Überlegungen darf der entscheidende Punkt nicht aus den Augen verloren werden. So sehr der Käufer und die finanzierende Bank eine fundierte Wertermittlung auch zu schätzen wissen: Am Ende entscheidet die verbleibende Netto-Liquidität – also der verfügbare Betrag nach Abzug von Tilgung und Aufwendungen für Versorgungswerk sowie Krankenversicherung – darüber, ob der Kauf einer Apotheke empfehlenswert ist oder nicht. Steht dort ein Wert unterhalb des Gehalts, das ein Filialleiter im Angestelltenverhältnis verdient, ist von einem Kauf aus betriebswirtschaftlicher Sicht abzuraten. Insofern entscheidet sich vor allem an der unter dem Strich verbleibenden Netto-Liquidität für den potenziellen Käufer, ob eine Apotheke zukunftsfähig und gut veräußerbar ist oder zum Erinnerungsstück wird.

Oliver Vorberg, Dipl. Betriebswirt (FH), Unternehmensberater bei Dr. Schmidt und Partner, Geschäftsführer der SuPport GmbH, 56068 Koblenz, E-Mail: oliver.vorberg@support-gmbh.com

 

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Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(20):6-6