Dr. Hubert Ortner
Analoge Gebühren für einen mittlerweile durchdigitalisierten Prozess? Das wirft mehr als berechtigte Fragen auf. (AdobeStock_Songsak)
Warum wollen Sie es sich antun, Ihre Rezepte in Zukunft mit bis zu 95 Krankenkassen direkt abzurechnen? Ist das Ausdruck Ihres digitalen Spieltriebes, oder sind Sie trotz Ihres vielfältigen Engagements zu wenig ausgelastet, Herr Bühler?
Benedikt Bühler: Das Rezeptabrechnungs-System steht auf wackeligen Beinen, das haben viele Apotheken bei der AvP-Pleite schmerzhaft erfahren müssen. Im Falle des Falles auf die Politik zu vertrauen, hat sich leider als Trugschluss erwiesen.
Bei der Direktabrechnung bin ich als Apothekeninhaber alleiniger Inhaber der Forderungen, und die Rezepte gehören jederzeit mir. Ein weiteres gewichtiges Argument für die Direktabrechnung ist, dass sich meine Liquidität substanziell verbessert, wenn ich meine Arzneimittelrechnungen von den Krankenkassen wöchentlich – perspektivisch sogar täglich – erstattet bekomme und nicht bloß einmal monatlich in gebündelter Form von den Abrechnungszentren (ARZ).
Benedikt Bühler
Kritiker der Direktabrechnung argumentieren genau andersrum: Nach ihrer Lesart würde die Liquidität der Apotheken massiv gefährdet, weil die Krankenkassen eine schlechte Zahlungsmoral hätten.
Benedikt Bühler: Das ist für mich ein vorgeschobenes Argument, das die ARZ als künstliches Schreckgespenst an die Wand malen. Nach meinen Erfahrungen ist die Zahlungsmoral der Krankenkassen hervorragend. Alles andere wäre auch überraschend: Als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) müssen sie sich selbstverständlich an die gesetzlichen Vorgaben halten und Rezeptrechnungen laut SGB V § 130 innerhalb einer Frist von zehn Tagen begleichen. Falls nicht, kann man eine Beschwerde bei der Kassenaufsicht einreichen, und das versuchen die Kassen tunlichst zu vermeiden.
Schließlich gibt es noch einen weiteren Hebel dafür, dass die Kassen fristgerecht zahlen: Tun sie das nicht, müssen sie nämlich den Kassenabschlag zurückzahlen. Ich habe das schon in der Praxis durchexerziert – durchaus mit Erfolg.
Um bei der ABDA Karriere zu machen, muss man sich wie ein „Parteisoldat“ hochdienen. Widerspruch und abweichende Meinungen sind dabei wenig förderlich. Das ist nicht unbedingt das Klima, in dem eine gesunde Selbstreflexion gedeiht.
Wie viel Begeisterung schlägt Ihnen von Seiten der Kassen entgegen, wenn die in Zukunft mit 17.000 Apotheken statt mit anderthalb Dutzend ARZ abrechnen sollen? Machen alle Kassen mit, oder gibt es auch welche, die „verweigern“?
Benedikt Bühler: Ich mache mich gerade richtig unbeliebt – beim LAV Baden-Württemberg aufgrund der historisch bedingten Nähe zur VSA und bei den Krankenkassen sowieso. Am meisten Widerstand kommt aber von den Pharmaherstellern.
Dass es für die Kassen mit einem höheren Aufwand verbunden ist, mit einzelnen Apotheken abzurechnen, mag schon sein – ich kann mich aber nicht entsinnen, dass die Kassen viel dafür tun, unseren Aufwand gering zu halten. Die gesetzliche Grundlage ist jedenfalls klar: Laut § 300 Absatz 2 Satz 1 SGB V können Apotheken ihre Abrechnung an die Rechenzentren auslagern, sie müssen es aber nicht tun. Auch der Rahmenvertrag sieht vor, dass Sammelrechnungen aus den ARZ genauso zulässig sind wie Einzelrechnungen aus Apotheken. „Totalverweigerer“ haben wir keine.
Warum kommt der stärkste Widerstand von Seiten der Pharmaindustrie?
Benedikt Bühler: Die bekommen bislang eine kostenlose monatliche Abrechnung von den rund 18 ARZ. Der hohe Aufwand für das Inkasso des Herstellerrabatts bleibt an den Apotheken hängen, ohne dass sie dafür entschädigt werden. Natürlich haben die Hersteller keinerlei Interesse daran, dass sich an dieser für sie so komfortablen Situation etwas ändert.
Wie hoch fallen die jährlichen Kosten einer Durchschnittsapotheke zur Aufrechterhaltung der bisherigen Rezept-Abrechenpraxis aus?
Benedikt Bühler: Wenn die durchschnittliche Apotheke monatlich zwischen 300 € und 500 € an ihr ARZ überweist, dann ergibt das bei 17.000 Apothekenbetrieben aufs Jahr hochgerechnet ca. 100 Mio. € für ein längst überholtes Geschäft. An diesem Punkt muss auch die Frage gestellt werden, warum bei der PKV und den Beihilfen der ersetzende Scan schon mehr als ein Jahrzehnt zulässig ist und die Apotheken nach wie vor Tonnen an Papier durch die Bundesrepublik schicken.
Was Sie dabei völlig ausblenden, ist der immense Mehraufwand, den es für eine Apotheke bedeutet, ihre Rezepte statt mit einem ARZ mit bis zu 95 Krankenkassen einzeln abzurechnen.
Benedikt Bühler: Es steht außer Frage, dass die Umstellung auf eine Direktabrechnung zunächst einen Riesenaufwand bedeutet. Hier sehe ich mich in einer Vorreiterrolle.
In unserer Rathaus-Apotheke in Grötzingen rechnen wir zurzeit mit insgesamt 52 Kassen wöchentlich ab. Noch wird von Scanacs im Hintergrund für jede Abrechnung eine Papierrechnung erstellt und per Post an die Kassen versandt. Dieser Mehraufwand entfällt jedoch ab 01.01.2025: Zu diesem Stichtag wird der Empfang der E-Rechnung verpflichtend eingeführt, und wir werden auf eine tägliche Abrechnung umstellen. Durch die Integration in Datev mit integrierter Blindverbuchung und Mahnung wird dann ein großer Teil der Rezeptabrechnung automatisiert ablaufen.
Wenn man den hohen Aufwand, den Sie gerade beschrieben haben, und die Kosten gegenüberstellt, dann sind die 5.000 €, die eine Apotheke im Durchschnitt für eine gebündelte Rezeptabrechnung über ein ARZ pro Jahr bezahlt, vielleicht doch ganz gut investiertes Geld. Außerdem lassen sich Direktabrechner wie Scanacs ihre Dienstleistung ja auch bezahlen.
Benedikt Bühler: Der große Aufwand ist vor allem jetzt am Anfang – so wie bei jeder fundamentalen Umstellung. Sobald sich die Prozesse mit der E-Rechnung und der Blindverarbeitung eingestellt haben, läuft das Thema Abrechnung im Hintergrund. Neben der Einsparung von rund 5.000 € kommt dann noch die Liquiditätserhöhung hinzu. Und die Sicherheit am Eigentum der Rezepte ist mit Blick auf die AVP-Pleite einer der wichtigen Punkte. Daher lohnt sich eine Umstellung auf jeden Fall. Klar, Anbieter wie Scanacs müssen – genauso wie die ARZ – in Zukunft zeigen, worin der Mehrwert ihrer Lösung liegt. Ein erster wichtiger Schritt ist, dass die Abrechnungsgebühr nicht prozentual, sondern pro Abrechnung bemessen wird.
Perspektivisch sehe ich die Abrechnung im digitalen Zeitalter in der Apothekenverwaltungssoftware – in Kombination mit der TI (Stichwort KIM) – angesiedelt. Das muss Bestandteil einer zukunftsfähigen Software sein.
Nach meinen Erfahrungen ist die Zahlungsmoral der Krankenkassen hervorragend. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) müssen sie Rezeptrechnungen binnen zehn Tagen begleichen. Falls nicht, kann man eine Beschwerde bei der Kassenaufsicht einreichen, außerdem müssen sie den Kassenabschlag zurückzahlen.
Seit der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts ist der mit Abstand größte Aufwand für die Abrechenzentren – das bundesweite Einsammeln und Scannen von jährlich 500 Mio. Muster-16-Vordrucken – weggefallen. Dennoch sind die Abrechnungsgebühren für die Apothekenkunden nicht gesunken, sondern sogar noch leicht gestiegen. Rechtfertigen die teuren hybriden Doppelstrukturen ein solches Verhalten, oder ist das schlicht Abzocke?
Benedikt Bühler: Bei der Rezeptabrechnung geht es meines Erachtens nur darum, die alten Strukturen nicht anzutasten und die oft standeseigenen ARZ zu schonen. Und dafür sollen die Apotheken 100 Mio. € pro Jahr bezahlen. Ich finde, da wird die fehlende Fachkenntnis der Apotheker schamlos ausgenutzt. Der DAV hätte schon vor Jahrzehnten den ersetzenden Scan mit dem GKV-Spitzenverband aushandeln können.
Themenwechsel. Wenn Apotheker zur Blutdruckmanschette greifen, sprechen sie neuerdings von einer „pharmazeutischen Dienstleistung zur standardisierten Risikoerfassung von hohem Blutdruck“. Was verrät uns diese Wortakrobatik? Wer soll beeindruckt werden?
Benedikt Bühler: Ich finde diese „Wortakrobatik“, wie Sie es nennen, nur peinlich. Damit macht man sich doch lächerlich! Die Blutdruckmessung, so wie sie nach der Leitlinie der BAK beschrieben ist, schießt für mich persönlich auch über das Ziel hinaus. Wichtiger wäre es gewesen, das Erklären und Einrichten eines neuen Blutdruckmessgeräts sowie eine jährliche Überprüfung zu vergüten. Die Patienten sollen in Eigenverantwortung gebracht werden. Wer mit dieser Wortwahl beeindruckt werden soll, bleibt für mich offen.
Wie sieht Ihre persönliche Strategie aus, um mit den pDL in der Rathaus-Apotheke ausreichend hohe Deckungsbeiträge zu erwirtschaften?
Benedikt Bühler: Am meisten Potenzial sehe ich in der Polymedikationsanalyse (PMA). Wir machen davon rund 100 im Monat und stärken damit sowohl die Kundenbindung als auch das Betriebsergebnis. Hier zeigt sich eines der Grundprobleme unseres Berufsstands: Ein Großteil der Apotheker ist viel zu stark problem- und zu wenig lösungsorientiert. Anstatt sich ausschließlich auf die aufwändigen Fälle zu fokussieren, lohnt es sich umzudenken: Wenn eine PMA unauffällig verläuft, dann ist es doch gerade gut für den Patienten! Nicht grundlos gibt es die Routine-Checkups ab einem bestimmten Alter. Um es positiv zu formulieren: Ein Großteil der PMA-Patienten ist gut eingestellt. Das ermöglicht dann auch die Beratung komplizierter Fälle. In Summe ist es also eine Mischkalkulation, über die sich die Apotheke profilieren kann und muss. Dasselbe gilt für die Inhalatorschulung: Wenn ich merke, dass der Patient den Inhalator beherrscht und mir das kurz direkt am HV vorführt – umso besser. Zum Schluss eben noch eine Unterschrift – wir sind schließlich in Deutschland – und alle sind zufrieden. Und am besten gleich in der Warenwirtschaft vermerken, dass man den Kunden in einem Jahr wieder anspricht.
Wie bewerten Sie in diesem Kontext, dass sich in dem für die pDL eigens eingerichteten Fonds zwischenzeitlich gut 350 Mio. € angesammelt haben, weil die Vergütung angeblich zu gering und das Personal knapp ist?
Benedikt Bühler: Da sind 350 Mio. € im Topf, die nicht abgerufen werden, und wir gehen hin und fordern lautstark mehr Geld. Das versteht niemand. Genauso regelmäßig wird eine Entbürokratisierung gefordert. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir doch zugeben, dass wir selbst stark dazu beitragen, dass alles immer noch komplizierter und bürokratischer wird. Die Leitlinien der ABDA zu den pDL sind das beste Beispiel: Obwohl die Medikationsanalysen zu den unbestrittenen Kernkompetenzen eines jeden approbierten Apothekers gehören, wird hier jeder Handgriff bis ins Kleinste festgeschrieben; und nach einer fünfjährigen akademischen Ausbildung wird plötzlich eine Weiterbildung für eine Analyse vorgeschrieben. So wird es tatsächlich schwer mit dem Geldverdienen …
Sie haben sich schon früh in der Standespolitik engagiert, u. a. im Landesapothekerverband Baden-Württemberg. Wieviel Zuspruch, wieviel Widerstand erfahren Sie für Projekte wie die Direktabrechnung, die eine ganz neue Richtung einschlagen?
Benedikt Bühler: Es gibt einigen Widerstand gegen die Direktabrechnung, aber unter Reibung entsteht bekanntlich Wärme …
Ich bin überzeugt: Man muss das System der Standesvertretung von innen heraus reformieren, auch wenn das nicht einfach ist. Ich engagiere mich in den verschiedenen Gremien nicht, um beliebt zu sein. Ich will kein Amt, sondern im Sinne der Apotheken etwas zum Positiven verändern.
Bei der Rezeptabrechnung geht es meines Erachtens nur darum, dass die alten Strukturen möglichst unangetastet bleiben und die oft standeseigenen ARZ geschont werden. Und dafür sollen die Apotheken 100 Mio. € pro Jahr bezahlen. Ich finde, da wird die fehlende Fachkenntnis der Apotheker schamlos ausgenutzt.
Erst kürzlich wurden Sie zum neuen Vorstand des Verbands Innovativer Apotheken (VIA) gewählt. Welche „innovativen Projekte“ stehen auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben?
Benedikt Bühler: Oberste Priorität hat für mich die Kompetenzerweiterung der Vor-Ort-Apotheken. Wir müssen z. B. die Diagnostik wieder stärker in die Apotheken bringen. Schnelltests können da nur ein erster Schritt sein. Auch Vollblut-Analysen und verschiedene PCR-Tests sind bei uns perfekt aufgehoben – verfügen Apotheken doch über die entsprechende Erfahrung und Infrastruktur (Stichwort eigenes Labor). Selbstverständlich bleibt die Diagnostik den Ärzten vorbehalten. Doch haben die sicher nichts dagegen, wenn wir ihnen die Analytik weitgehend abnehmen. Und warum nicht gleich die telemedizinische Diagnose an den Test in der Apotheke anschließen?
Neben ansonsten wohl überlegten Forderungen hat der VIA im Sommer ein Rx-Fixum von 15 € gefordert und damit sogar die ABDA in ihrer „Paradedisziplin“ (Realitätsferne) haushoch geschlagen. Was hat Sie und Ihre Kollegen/innen denn da geritten?
Benedikt Bühler: Dieser Wert ist zugegeben sehr hoch gegriffen, insofern gehen wir realistischerweise auch nicht davon aus, dass es so kommen wird. Unser Ziel war es vielmehr, mit den 15 € das breite Leistungsspektrum der Apotheken widerzuspiegeln, von dem viele Leistungen bekanntlich gar nicht oder nur unzureichend vergütet werden.
Das beginnt beim Inkasso für die Herstellerrabatte und geht über den immensen Mehraufwand beim Lieferengpass-Management bis hin zum Ausfallrisiko und den Kosten z. B. für die Kreditkartenzahlung, die an uns hängenbleiben. Und dann kommen noch die hohe Inflation der letzten zwei Jahre sowie die stark gestiegenen Personalkosten dazu.
Ihre persönliche Leidenschaft gilt der Prozessoptimierung und Digitalisierung. Frei nach der Devise: Wenn es schon nicht mehr Geld gibt, dann müssen eben die Kosten runter. Bei welchen Prozessen wird in der Apothekenpraxis am meisten Zeit/Geld „verbrannt“?
Benedikt Bühler: Viel Potenzial sehe ich nach wie vor in einer stärkeren Automatisierung der Backoffice-Abläufe. Da werden auch neue KI-basierte Lösungen – Stichwort Robotic Process Automation (RPA) – in Zukunft eine größere Rolle spielen. Ebenfalls viel Zeit und damit Geld „verbrannt“ wird in dem ganzen Rezeptabrechnungsprozess, daher kommt ja auch mein Engagement für die Direktabrechnung.
Unnütze Kosten verursacht außerdem die z. T. noch antiquierte Kommunikation mit den Krankenkassen: Da werden immer noch Kostenvoranschläge per Fax hin- und hergeschickt. Es ist höchste Zeit, dass die sichere Kommunikation über KIM auch für die Kassen verbindlicher Standard wird!
Dass das Tagesgeschäft in der Offizin – von der Entgegennahme des (E-)Rezepts über das Eintippen in den PC bis hin zum Griff in den Ausgabeschacht des Kommissionierers – zu einem guten Teil automatisierungsfähig ist, ist (leider) Fakt. Wie stehen Sie in diesem Kontext zu einer stärkeren Automatisierung bei der Arzneimittelabgabe innerhalb und außerhalb der Apotheke?
Benedikt Bühler: Persönlich bin ich ein großer Fan von Terminal-Lösungen: Hier kann der Patient wie bei Fastfood-Restaurants in aller Ruhe eine Vorauswahl treffen, was er genau möchte – Stichwort Rabattvertrag „die gelbe Packung“. Falls das verordnete Medikament gerade nicht lieferbar ist, kann die Software von den Rabattverträgen abweichende Alternativvorschläge machen und auch gleich mit dem Preis für die ggf. fällige Zuzahlung hinterlegen.
Allerdings sollten die Terminals in der Apotheke gewählt platziert sein und die pharmazeutische Beratung darf nicht darunter leiden – außerhalb der Apothekenräume sehe ich das Ganze sehr kritisch.
Lernen am Misserfolg ist dem Grunde nach eine der effektivsten Form des Lernens, weil anhaltendes Scheitern einen hohen Leidensdruck erzeugt. Die Apotheker halten aber lieber diesen Leidensdruck tapfer aus, anstatt der ABDA den Spiegel ihres Scheiterns vorzuhalten. Warum ist das so?
Benedikt Bühler: Man hört oft: Die bemühen sich doch so sehr. Auch wenn der olympische Gedanke toll ist, was hier allein zählt, sind die Ergebnisse! Wir brauchen Gold und keine Teilnehmerurkunde! Was wurde von der ABDA in den letzten zehn Jahren nicht alles gefordert. Und was wurde tatsächlich erreicht? Sehr wenig. Die größte Schlappe wirkt heute noch schmerzlich nach: Obwohl das Versandhandelsverbot seinerzeit im Koalitionsvertrag gestanden war, hat es die ABDA nicht geschafft, dafür zu sorgen, dass dieses auch durchgesetzt wird.
Apotheker sind viel zu stark problem- und zu wenig lösungsorientiert. Ein Großteil der PMA-Patienten sind gut eingestellt. Das ermöglicht dann auch die Beratung komplizierter Fälle. In Summe ist es also eine Mischkalkulation, über die sich die Apotheke profilieren kann und muss.
Auch wenn Sie das als Apotheker streng genommen gar nicht dürfen, so bitte ich Sie ausnahmsweise doch um eine Diagnose, Herr Bühler: Woran krankt unsere Standesvertretung? Und welche Therapie würden Sie vorschlagen?
Benedikt Bühler: Zum einen sind die Strukturen der ABDA kompliziert und verkörpern so ziemlich das Gegenteil einer flachen Hierarchie. Um Karriere zu machen, muss man sich wie ein „Parteisoldat“ hochdienen. Widerspruch und abweichende Meinungen sind dabei wenig förderlich. Das ist nicht unbedingt das Klima, in dem eine gesunde Selbstreflexion gedeiht. So kommt es, dass Funktionäre mitunter Aufgaben übernehmen, für die sie wenig Fachkompetenzen mitbringen. Das ist eine extreme Gefahr für den gesamten Berufsstand.
Zum anderen ist es meine feste Überzeugung, dass wir knallharte Lobbyisten und Ökonomen brauchen, um unsere Positionen im politischen Berlin durchzusetzen. Wir sagen denen unsere Ziele und Vorgaben – und das Verhandeln überlassen wir dann komplett ihnen, weil sie da die Profis sind. Ein Blick auf andere Verbände zeigt, dass das ein gutes System ist.
Dann würden manche Verträge mit den Krankenkassen vermutlich deutlich anders aussehen.
Benedikt Bühler: Oder gar nicht erst zustandekommen, wenn die Nachteile aus Apothekersicht überwiegen. Nehmen wir das Reizthema der Retaxationen: Wenn die Kassen z. B. aufgrund einer fehlenden Dosierungsangabe des Arztes den Apotheker auf null retaxieren, dann kann man das nicht den Kassen ankreiden.
Schließlich stehen unter den Verträgen die Unterschriften beider Vertragsparteien – auch die des Deutschen Apotheker Verbands. Den Hilferuf nach der Politik kann ich deshalb nur bedingt nachvollziehen.
Kommen wir zum Schluss: Wie realistisch ist die Erwartung, dass eine wahrscheinlich unionsgeführte nächste Regierung angesichts klammer Kassen und steigender Gesundheitskosten die Apothekenvergütung substanziell erhöhen wird?
Benedikt Bühler: Ich halte das sogar für sehr realistisch, weil die CDU auf verschiedenen Ebenen klar signalisiert hat, dass man die Sorgen und Nöte der Apotheker verstanden hat. Die werden etwas tun müssen.
Das Interview führte Dr. Hubert Ortner
Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA – APOTHEKE & WIRTSCHAFT, 70191 Stuttgart, E-Mail: hortner@dav-medien.de
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2024; 49(22):6-6