Steigende Herausforderungen

Mindestens ein Jahr gratis, aber nicht umsonst buckeln


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Während wir munter die Arbeitszeiten verkürzen (siehe die Tarifabschlüsse der Apotheken oder Ärzte an den Unikliniken), und die Kosten je Arbeitsstunde durch höhere Löhne für weniger Stunden kräftig in die Höhe treiben, ohne dass dem eine höhere Wertschöpfung oder Produktivität entgegenstünde, türmen sich vor unserer Gesellschaft immer steilere Berge an Herausforderungen auf, vornean: Demografie, Klimaneutralität, Sicherheit.

Demografisch sehen wir uns im Vergleich zur heutigen Zahl an Rentnern einem um rund 15 % bis 20 % höheren „Babyboomer-Berg“ an Versorgungsempfängern gegenüber, was sich aus den Geburtenzahlen der jeweiligen Jahrgänge ableiten lässt. Schon heute machen Renten, Pensionen, seitens der Sozialversicherungen getragene Krankheitskosten nur der Rentner sowie die Ausgaben der Pflegeversicherung in der Summe um die 700 Milliarden Euro jährlich aus. Gemäß dem obigen „Berg“ werden diese Kosten über die kommenden Jahrzehnte entsprechend aufwachsen, plus eine zumindest noch in den nächsten Jahren kräftige „Fortschrittskostenkomponente“ bei den Krankenkassen.

Hinzu kommt unsere Sonderbelastung am anderen Ende der Alterspyramide infolge der hohen, allzu oft ungesteuerten Zuwanderung. Hier werden weiterhin laufend spürbare Milliardenbeträge erforderlich sein, um diese Personen zumindest überwiegend und nach Möglichkeit gewinnbringend in unsere Wertschöpfungsprozesse zu integrieren; andererseits schrumpft der eigene Nachwuchs.

Szenenwechsel zur Klimaneutralität: Vier Milliarden Quadratmeter Wohnraum (plus eine allerdings weit kleinere Fläche an Gewerbeflächen), davon das meiste energetisch zu sanieren, ein Teil wohl auch wegfallend, der Austausch von 50 Millionen Pkw plus einige hunderttausend Nutzfahrzeuge (wie viele können davon ebenfalls entfallen?), zudem eine komplette Umrüstung der Energie-Infrastruktur – und das alles in 20 Jahren bis zum selbstgesteckten Ziel der Klimaneutralität. Kostenpunkt: Im sehr deutlichen Billionen-Bereich. Seien es vier Billionen, seien es noch etwas mehr – über diese Größenordnung reden wir insgesamt. Rund eine Jahres-Wirtschaftsleistung, mindestens.

Europa ist abermals Krisen- und Kriegsgebiet. Auf wieder die nächsten 20 Jahre gerechnet, kommen im Vergleich zu den früheren Zeiten mit ihrer „Friedensdividende“ neue Sicherheitsaufwendungen sowie Wiederaufbauleistungen (Ukraine!) im Bereich von einer runden Billion Euro auf uns zu. Wenn es reicht – oder sich vielleicht doch wieder die Erkenntnis durchsetzt, dass an Kriegen und Militär nur wenige verdienen, die große Masse aber verliert, bis hin zu Leben und Gesundheit.

Das alles addiert haben wir zurückhaltend geschätzt mindestens eine Jahreswirtschaftsleistung (BIP, was zurzeit um 4,2 Bio. € beträgt) zusätzlich „vor der Brust“, womöglich 1,5 bis 2 mal BIP. Investitionen in die Infrastruktur aufgrund jahrelangen Wirtschaftens auf Verschleiß, Aufholjagden in Forschung und Bildung oder Maßnahmen zur Stabilisierung unseres Gesellschaftszusammenhaltes noch gar nicht einberechnet. Kurzum: Jeder müsste insoweit quasi ein bis zwei Jahre zusätzlich arbeiten, und zwar ohne Extrabezahlung (auch wenn die volkswirtschaftliche Rechnung komplexer ist)! Das kann man auf mehrere Säulen stützen: Arbeitsverdichtung und Mehrleistung bei höherer Arbeitszeit (z. B. plus eine halbe bis eine Stunde täglich), zudem mehr Wertschöpfung, letztere auch durch Nutzung weiterer Automationspotenziale sowie: Bildung, Bildung, Bildung! Pro Kopf brauchen wir einfach bessere Renditen. Der Trend ging bislang jedoch in die gegensätzliche Richtung.

Auf den Punkt gebracht: Die große Mehrheit wird alternativlos wieder richtig schuften müssen. Alternativlos deshalb, weil es letztlich nur zwei Wahlmöglichkeiten gibt: Wir machen uns für Fortschritt, Wertschöpfung und gute Einkommen krumm, oder wir schuften gegen den Niedergang in zunehmender Armut an. Letzteres kann man in den Schwellen- und Entwicklungsländern anschauen – viel Maloche, Kampf ums tägliche Dasein, trotzdem hat die Mehrzahl der Menschen nichts in der Tasche. Genau diese Wahl haben wir. In beiden Fällen werden wir die Schlagzahl stark steigern müssen. Auf die klügere oder dümmere Weise. In der Breite ist diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Aufschlag für eine neue Regierung!

 

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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