Prof. Dr. Reinhard Herzog
„Alternativlos“ – diesen Begriff prägte nicht zuletzt unsere Altkanzlerin Angela Merkel. Es mag Situationen geben, in denen nur noch ein Weg gangbar erscheint, dies aber regelhaft auch nur, weil die Alternativen so dramatisch schlechter wären, dass sie realistisch nicht in Betracht kommen. Insoweit ist es streng sachlogisch gar nicht alternativlos. Es gibt eigentlich immer meist sogar mehrere Optionen. Wenn diese sich allerdings zwischen dumm, dümmer oder am Ende gar „Sein oder Nichtsein“ abspielen, hat man meist bereits im Vorfeld versäumt, sich damit zu befassen und sich Optionsräume zu erschließen.
Die gefährlichsten Gegner auf diesem Weg, sich Optionen offen zu halten oder aktiv neu zu erschließen, sind (vermeintliche) Sicherheit und die Selbstüberschätzung der eigenen Position, gern Hand in Hand gehend. Die hässlichen Schwestern der Sicherheit sind die Bequemlichkeit und Denkfaulheit. Da gilt noch nicht einmal mehr das Bonmot von Mark Twain: „Als wir merkten, dass wir falsch abgebogen waren, verdoppelten wir das Tempo.“ Man hat nicht mal gemerkt, dass man auf dem Holzweg war. Die gegenwärtige Standespolitik weist einige Merkmale in dieser Richtung auf, angesichts der bevorstehenden, nicht zuletzt technologischen Umwälzungen. Ein Mythos der Unersetzlichkeit entzaubert sich da schnell. Ein „Versorgungsauftrag“ kann auch überinterpretiert werden und hat in der Vergangenheit dazu verleitet, sich als niedergelassener Apotheker „quasi-verbeamtet“ zu sehen, idealerweise ähnlich abgesichert, allerdings mit den Einkommensperspektiven von Unternehmern. Ganz ging diese Gleichung ja nie auf, aber inzwischen strebt sie immer weiter auseinander.
Und da sind wir bei den individuellen Alternativen und Optionsräumen. Weitsichtige Menschen lassen sich nicht auf dem Pfad der Bequemlichkeit und scheinbaren Sicherheit einlullen (es sei denn, sie sind tatsächlich Beamte, und selbst dann ist das nicht ratsam). Sie gehen selbst unbequeme Extrameilen, nehmen nichts als „selbstverständlich“ an, oder meinen, nur kraft der einmal abgeschlossenen Berufsausbildung Anspruch auf lebenslange Alimentierung zu haben. Sie suchen sich anspruchsvoll-befriedigende Hobbys mit womöglich Potenzial zum Neben- oder gar Haupterwerb.
Sie eignen sich neue Qualifikationen an – und das sind nicht nur die x-te Kammerfortbildung oder das Seminar zu den neuesten Erkenntnissen der Fußpilzbehandlung. Sie erweitern ihr Fähigkeitsspektrum qualitativ und elementar, statt lediglich das Altangestammte zu perpetuieren, allzu oft nur rein faktenbasiert („totes Telefonbuchwissen“), was eine treffliche Fundgrube für Computer allgemein und absehbar die Künstliche Intelligenz (KI) ist. Etwas Betriebswirtschaft, ein „Management-Trickkasten“, um den Laden motiviert am Laufen zu halten, „Gespräche führen“ statt einfach nur zu reden – das sind lediglich die „low hanging fruits“, die Basics, um überhaupt im Alltag bestehen zu können. Da gilt es absehbar deutlich tiefer zu schürfen. Der Umgang mit (zunehmend komplexen) Daten aller Art und KI-Systemen dürfte ein wesentlicher Punkt sein, um sich neue Optionen zu erschließen.
Die „älteren Semester“ stehen vor der Herausforderung, ihre Lebensuhr im Hinblick auf ein absehbares Berufsende (neu?) zu stellen. Die „Alternative“ besteht hier meist darin, einen reibungsarmen Übergang in den (Un-)Ruhestand zu gestalten. Zentrales Element ist dabei der finanzielle Umriss und Gestaltungsrahmen, im welchem sich der künftige Lebensabschnitt abspielen kann. Auch wenn dies aus der Sicht von Außenstehenden regelhaft auf ganz ordentlichem Niveau (verglichen mit dem „Normalrentner“) stattfindet: Im Einzelfall drohen empfindliche Lücken zum bisherigen Standard, was nicht selten für Überraschungen sorgt. Selbst ein schöner Verkaufserlös marginalisiert sich nach Steuern und auf die Sicht von 20 oder mehr Restlebensjahren, wenn neben der Rente kaum sonstige Einkünfte vorhanden sind, man bisher aber über ein hoch vier- oder gar fünfstelliges Monatsnetto verfügt hat. Schnell verflüchtigt sich dann so manch Alternativ- bzw. Ruhestands-Szenario zu einem Weitermachen in der Hoffnung auf bessere Zeiten – „alternativlos“? Nicht für denjenigen, der frühzeitig und klug seine Spielräume aktiv-vorausschauend gestaltet.
Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
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